Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)

Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)

Titel: Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Spitzer
Vom Netzwerk:
genau auf dem Zahlenstrahl wir uns mental gerade befinden). Wir können uns im Kopf gleichsam am Zahlenstrahl entlanghangeln, so dass die Referenzzahl in der Mitte liegt und die größeren Zahlen auf der rechten Seite unseres Vorstellungsraums und damit eher in der linken Gehirnhälfte und die kleineren Zahlen auf der linken Seite des Zahlenstrahls und damit eher in der rechten Gehirnhälfte zu liegen kommen. [179]   Der Effekt tritt selbst dann auf, wenn man den Probanden die Zahlen nicht als Zahlen, sondern als Zahlwörter zeigt. Er ergibt sich also nicht allein durch die Art, wie wir Zahlen (bzw. Text) lesen.
    Man könnte nun meinen, dass es sich bei dem Ergebnis der Untersuchung um ganz einfache Auswirkungen der Tatsache handelt, dass für die linke Seite unseres Körpers die rechte Gehirnhälfte zuständig ist und umgekehrt. Dies ist jedoch nicht der Fall, weil der Effekt auch bei der Reaktion mit nur einer Hand auftritt, dass also »kleiner« eher links und »größer« eher rechts verarbeitet wird. [180]   Der Zahlenstrahl hat damit eher etwas mit dem Raum um uns zu tun als mit unseren Fingern oder unserem Körper. Er ist eine andere, abstraktere innere Repräsentation von Zahl als die (zählenden) Finger. Und er entwickelt sich später, weil sich das Parietalhirn (der Ort des Zahlenstrahls in unserem Gehirn) sich deutlich später entwickelt als einfache sensorische und motorische Areale, die beim Zählen mit den Fingern eine Rolle spielen. [181]  
    Zahlen werden vom Gehirn also unterschiedlich verarbeitet: (1) als sensorisches und motorisches Ereignis, das eng mit den Fingern verknüpft ist, (2) als Ort auf dem Zahlenstrahl in unserem Parietalhirn und (3) als Wort in den Sprachzentren. Man könnte nun meinen, dass beim Hantieren mit Zahlen, je nachdem, worum es geht, eines dieser Gehirnmodule verwendet wird. Das ist im Prinzip auch so, jedoch stehen diese Module seit dem Erlernen der Zahlen in engem Kontakt, so dass die jeweils anderen ebenfalls aktiviert werden.
    Auf der Basis dieses Grundgedankens wurde eine recht eigenartige Studie durchgeführt. [182]   Deutsche und chinesische Versuchspersonen beiderlei Geschlechts im Alter von etwa Mitte zwanzig sollten am Computer eine einfache Zahlenvergleichsaufgabe durchführen. Dabei wurde die Zeit, die sie dafür brauchten, um anzugeben, welche von zwei Zahlen die größere ist, in Millisekunden erfasst. Die Chinesen und die Deutschen wurden vergleichend untersucht, weil in diesen Kulturkreisen das Zählen mit den Fingern unterschiedlich gelernt wird; die Deutschen benutzen ab der Sechs die Finger der zweiten Hand, die Chinesen hingegen erst ab der Elf. Der Transfer von Daten von einer Gehirnhälfte in die andere braucht Zeit, und der Grundgedanke der Studie war es, diese Zeit bei Erwachsenen zu messen.

7.8 Welche Zahl ist größer? Unter einem Bildschirm befinden sich zwei Tasten, und die Studienteilnehmer sollen die Taste auf der Seite der größeren Zahl drücken, die entweder links oder rechts stehen kann. Es werden nur Zahlenpaare mit einem Abstand von zwei verwendet, von »1 3« bzw. »3 1« bis »18 20« bzw. »20 18«. Jede Versuchsperson führt 432 solcher Aufgaben aus, und bei jeder einzelnen wird die benötigte Zeit in Millisekunden gemessen.
    Drei Dinge waren hinsichtlich der Ergebnisse schon vorher bekannt:
    (1) Zahlenvergleichsaufgaben sind umso schwerer (und man braucht umso länger), je größer die Zahlen sind. Wir sind also beim Vergleich »2 4« tatsächlich schneller als bei »12 14«.
    (2) Die Zahlenvergleichsaufgabe ist dann besonders leicht (und die Reaktionszeiten kürzer), wenn auf der einen Seite des Vergleichs eine einstellige und auf der anderen Seite eine zweistellige Zahl steht: »Was ist größer: X oder XX?« kann man für alle X > 0, ohne zu zählen und ohne über die Zahl nachzudenken (d.h., ohne sie zu erkennen und einzuordnen) entscheiden (hellgraue Flächen in der folgenden Grafik).
    (3) Chinesen verbringen nahezu die gesamte Grundschulzeit damit, die mehreren tausend Zeichen ihrer Schrift zu erlernen. Sie trainieren damit das Zeichendekodieren wesentlich mehr als ein deutscher Schüler, der nach etwa einem Jahr die mit Umlauten knapp dreißig Zeichen unseres Alphabets gespeichert hat und sich anderen Dingen widmet als dem Zeichendekodieren. So verwundert es nicht, dass Chinesen beim Zeichendekodieren grundsätzlich schneller sind als die Deutschen, dass sie also auch Zahlen schneller erkennen als wir.
    Diese

Weitere Kostenlose Bücher