Dihati Qo – Die, die sind
sagen, dass sie überfallen und hierher getrieben wurden. Sie haben Angst. Sie brauchen Eure Hilfe.«
Der Blick des Königs milderte sich. »Ich komme!« Der Diener verschwand wieder in den Gängen der Burg.
Poran wollte das Zimmer gerade verlassen und hatte die Klinke der Tür in der Hand, als er sich abrupt umdrehte. Er fixierte Sopeia. »Das Orakel. Ihr habt mir noch nicht erzählt, was das Orakel gesagt hat.«
»Ihr werdet Euch keinen Reim darauf machen können.«
»Sagt es mir trotzdem. Ihr werdet es doch auch Eurem Bund erzählen.«
»Ja, das werde ich.«
»Nun, Seherin, ich höre.«
»So höret die Weissagung des Orakels, so wie es mir verkündet wurde: ›König Poran, das Böse möchte die Macht gewinnen. Es ist auf dem Weg, der Kreis beginnt. Erst braucht Ihr einen, dann braucht Ihr sechs. Den einen gleich. Zwei jetzt. Zwei später. Zwei früher. Beschützt die Quelle, die Ihr verlieren werdet. Zwei werden sie finden. Zwei werden sie holen. Zwei werden sie hüten. Die Quelle muss in den Kerker. Das Böse kann sie nicht finden.‹ Dies ist die Prophezeiung des Orakels. Die Hüter ließen es dies wissen.«
Die Seherin hatte recht, die Worte sagten dem König nichts. »Sorgt dafür, dass es der Bund erfährt.« Er ließ den Kopf hängen. »Meine Kraft verlässt mich, Sopeia. Vielleicht ist dies meine letzte Handlung.« Er wischte den Gedanken beiseite und straffte sich. Weitere Schwäche konnte er sich nicht leisten. Der König öffnete die Tür und trat auf den Flur hinaus.
* * *
»Vielleicht?«, grübelte der König. » Vielleicht ist das meine letzte Handlung? Oh nein!« Die Gewissheit verdichtete sich. Soviel zu seinem Vorsatz stark zu sein. Er konnte diesen Gedanken nicht mehr abschütteln. Er hatte sich in seinem Schädel festgekrallt. Was mochte ohne ihn mit seinem Volk, mit seinem Sohn geschehen?
Er befand sich auf dem Weg zu den Zinnen, um zu seinem Volk zu sprechen, stand aber plötzlich im Zimmer der Amme. Sie hatte seinen Sohn klugerweise zu sich geholt. Selbst auf Poran hatte es eine beruhigende Wirkung, wie sie die Wiege sanft schaukelte. Hier schlief sein Sohn friedlich. Poran wusste nicht, warum er den Weg hierher eingeschlagen hatte, aber er nutzte die Gelegenheit, sich von seinem Sohn zu verabschieden. Etwas in ihm sagte, er sollte es jetzt tun.
Poran stand an der Wiege und strich über das seidig blonde Haar des Kindes. Dabei fiel sein Blick auf den Ring am dritten Finger seiner linken Hand. Der Ring, der seit Jahrzehnten das Zeichen seiner Herrschaft, seiner Macht war. Seit dem Tag, als die Hüter kamen.
Er zerrte an dem Ring, der an der runzligen alten Haut des Fingers haftete. Der Ring gab nach und Poran legte ihn seinem Sohn in die Wiege. »Hier mein Sohn, nimm diesen Ring. Er ist die Legitimation meiner und später auch Deiner Herrschaft. Bewahre ihn. Helfe den Dihati Qo. Ich habe nicht mehr die Kraft, die Macht zu führen.«
Er drehte sich zur Amme. Ihr standen die Tränen in den Augen, denn sie wusste, dass dies ein Lebewohl war. Der König würde seinen Sohn verlassen. Der König würde sein Volk verlassen.
»Beschützt mein Kind, Amme. Passt immer auf es auf. Nehmt die Wachen und versteckt es irgendwo, wenn es sein muss. Es wird die Zeit kommen, da wird mein Sohn herrschen.«
»Niemand wird es wagen, Eurem Sohn sein Erbe streitig zu machen mein König – niemand!«
»Ich wünschte, so wäre es.« Der König überließ seinen Sohn der wärmenden Obhut der Amme, die Amme jedoch der nagenden Kälte ihres Kummers und ging zu den Zinnen.
* * *
Poran trat in den Sonnenschein hinaus. Er spürte die Wärme der Sonne auf seinen Wangen und sie zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. Ein zarter Windhauch zerzauste sein Haar. »Vielleicht«, nahm er seinen vorherigen Gedanken auf, »vielleicht sind ja nur die dunklen und kühlen Gänge meiner Burg an meinen Vorahnungen schuld. Vielleicht wird es nicht so schlimm, wie ich erwartet habe.«
Er behielt seinen neu gewonnenen Optimismus sogar, als er auf die Bauern und Tagelöhner blickte, die sich vor den Mauern der Burg versammelt hatten. Furcht weitete ihre Augen, Angst lag auf ihren Gesichtern. Sie stammelten und schrien durcheinander. Reiter hatten ihre Ernten vernichtet und ihre Dörfer niedergebrannt.
Die Soldaten des Königs hatten vor und auf den Mauern der Burg Stellung bezogen, aber das beruhigte die Menge nicht. Der König neigte seinen Kopf dem Wachhauptmann entgegen. »Öffnet das Tor. Wir werden den Menschen den
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