Diktator
gezögert hätte …«
Sie hatte Zugang zu erstaunlich ausführlichen Informationen gehabt. Mackies MI-14 verfügte über Maulwürfe, die bis an die Spitze der Nazipartei vorgedrungen zu sein schienen. Und sie hatte erfahren, dass dem Panzergeneral Guderian in jenen dunklen Tagen im Mai 1940, als die BEF und die verbliebenen französischen Truppen an den Stränden in der Falle gesessen hatten, erst nach einem vollen Tag gestattet worden war, seine Panzer zu jenem endgültigen Angriff loszuschicken, der mit seinem überwältigenden Sieg endete. Die Verzögerung war selbst den allierten Soldaten an den Stränden aufgefallen; Gary hatte davon gesprochen.
»Im Militär und der Partei scheint es eine Diskussion auf allen Ebenen gegeben zu haben«, erklärte sie Mackie. »Guderian selbst hatte einige Bedenken wegen der Art des Geländes, das sie zu durchqueren hatten. Er war im Blitzkrieg so schnell vorgerückt, dass es ihm an hinreichenden nachrichtendienstlichen Informationen mangelte.«
»Aha«, sagte Mackie um seine Pfeife herum. »Die Deutschen hatten noch nie viel für Spiele auf matschigen Plätzen übrig.«
»Zugleich war Guderians Vorgesetzten sehr wohl bewusst, dass Frankreich noch nicht erobert war. Die
BEF war geschlagen; sollte sie doch abziehen. Guderians Streitmacht sollte sich zurückhalten, sich ausruhen und für den Frankreich-Feldzug neu ausrüsten. Und dann träumte Hitler ja auch immer noch von einem Frieden mit England. Er dachte, wenn man die BEF verschone, würde das euch Briten vielleicht zeigen, dass er letztlich doch ein zivilisierter Bursche sei. Aber am Ende sind sie zu dem Schluss gelangt, dass die Vernichtung der BEF eine zu gute Gelegenheit war, als dass sie darauf verzichtet hätten.«
»Und wie würden Sie die Veränderung nun vornehmen? Sie wissen ja, welche Regeln wir aufgestellt haben. Man darf in die Vergangenheit zurück und jemandem etwas einflüstern.« So schien, nach Geoffreys Indizien zu urteilen, der Webstuhl zu funktionieren.
»Ich würde zu Hitlers Hof in jenen Stunden zurückgehen, als sie darüber diskutiert haben, ob sie Guderian freie Hand lassen sollten. Und ich würde mich in den Kopf von Karl Ernst Krafft einschleichen.«
»Wer ist das?«
»Ein Astrologe.«
»Ich dachte, Hitler glaubt nicht an Astrologie.«
»Ja, aber einige in seiner Umgebung glauben daran – Himmler und Goebbels, um nur mal zwei zu nennen. 1939 hat dieser Krafft Himmlers Nachrichtendienst eine Vorhersage zukommen lassen, derzufolge es einen Bombenanschlag auf Hitler geben würde. Nun, die Vorhersage hat sich bewahrheitet.«
Mackie schnaubte. »Reiner Zufall!«
»Natürlich. Aber dadurch hat Krafft Zugang zum
Hof bekommen. Wenn man sich ihn vornimmt, kann man mindestens zwei Nazigrößen beeinflussen.«
»Und wenn die Entscheidung in Bezug auf Guderian so knapp ausfiel, könnte das reichen, um sie zu ändern. Aber was würden Sie ihm einflüstern?«
Mary zuckte die Achseln. »Irgendein passendes Kauderwelsch, abgefasst in den Phrasen des arischen Mythos. Hitler ist ein Taurus, der angeblich vom Element Erde beherrscht wird. Hitler ist ein Löwe an Land, aber im Wasser verloren – darum sollte er ein Inselland wie Großbritannien verschonen und sich aufs Festland konzentrieren, das er erobern kann und das sich immerhin bis nach Russland erstreckt. So was in der Art.«
»Hm. Und was dann? Wenn die BEF verschont worden wäre …«
»Ich glaube, alles wäre anders gekommen«, sagte Mary. Sie zögerte, dann sprach sie rasch weiter. »Die deutsche Invasion hätte vielleicht gar nicht stattgefunden.«
Mackie zog die Augenbrauen hoch.
Ein anderes Dünkirchen hätte die Stimmung auf beiden Seiten des Kanals verändert, argumentierte sie, und dadurch die Entscheidungsfindungsketten beeinflusst, die zur Invasion geführt hatten. Eine gerettete BEF hätte die Moral der Briten gestärkt. Churchill hätte vielleicht politisch überlebt – und dann, ermutigt, solche kriegerischen Aktionen wie die Ausschaltung der französischen Flotte durchgesetzt, so dass sie nicht von der deutschen Marine hätte geschluckt werden
können. Was die Deutschen betraf, so wäre ihnen die Invasion angesichts eines härteren, entschlosseneren Britanniens und ungünstigerer Machtverhältnisse sowohl zu Lande als auch zur See vielleicht um jenes entscheidende Quäntchen riskanter erschienen.
»Auf der Kommandoebene waren sie immer uneins«, sagte sie. »Jede Truppengattung hat versucht, die Verantwortung den
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