Diktator
zugenommen«, sagte sie zu ihm.
»Na, das will ich hoffen«, erwiderte er geduldig. »Es ist achtzehn Monate her, Mom, dass ich aus diesem Lebensborn -Lager in Kent befreit worden bin. Wir kriegen anständige Rationen, weißt du.«
Mackie drückte seinen Pfeifentabak fest. »In der US-Army ist es besser, wie ich höre. Sie könnten jederzeit dorthin wechseln.«
Gary schüttelte entschlossen den Kopf. »Ich habe die Sache unter dieser Fahne begonnen, und unter der werde ich sie auch beenden.«
»Von Dünkirchen nach Berlin, hm?«, sagte Mackie leise. »Gratuliere.«
Das Mädchen kam herüber und nahm Marys Bestellung auf. Sie war nicht älter als sechzehn oder siebzehn, hatte Rouge, Lidstrich und Lippenstift aufgelegt
und trug echte Strümpfe, wie es schien. Ihr Rückweg zwischen den Tischen hindurch zum Tresen war ein Spießrutenlauf, begleitet von lüsternen Blicken, Pfiffen und außer Kontrolle geratenen Fingern.
»Erstaunlich«, sagte Mackie, der ihr nachschaute. »Wir sind hier nicht mal einen Kilometer vom Sitz der Halifax-Regierung entfernt, und da läuft so ein Mädchen herum, eine wandelnde Demonstration für den schädlichen Einfluss der GIs auf die britische Wirtschaft … dieser Kerle mit ihren Zigaretten und Süßigkeiten und Seidenstrümpfen, mit denen man sich die Zuteilungen aufbessern kann und die den Schwarzmarkt aufblasen, und mit ihrem ziemlich rauen Glamour …«
Gary lachte und trank einen kleinen Schluck Tee. »Das hört sich an, als würden Sie Ihre Verbündeten gern loswerden, Captain. Wie hat Churchill es formuliert? Man setzt den Kampf fort, bis ›zur gottgewollten Stunde, die Neue Welt mit all ihrer Macht und Kraft zur Hilfe und Befreiung der Alten Welt auftritt‹. Tja, hier ist sie nun.«
»Ja, herzlichen Dank. Und je eher wir euch alle wieder ins Land der Freien verfrachten können, umso besser.«
»Darauf trinke ich.«
»Kommen wir zur Sache.« Mackie wandte sich an Mary. »Wir müssen uns ausführlicher unterhalten. Aber ich habe Gary schon in groben Zügen erklärt, was wir planen. Und ihm eine ungefähre Vorstellung von der Rolle gegeben, die ich ihm dabei zugedacht habe.«
Gary musterte sie. »Geschichtsbücher und Zeitmaschinen!«
Mackie sah sich nervös um. »Wände haben Ohren und so weiter, alter Knabe.«
»Na schön.« Gary sprach leiser. »Hör zu, Mom, Captain Mackie hat dafür gesorgt, dass ich zu seiner Operation abkommandiert werde, aber mir ist zugesichert worden, dass sie nicht vor W plus drei stattfinden wird.«
»›W‹?«
»Der W-Tag«, sagte Mackie mit einem kalten Grinsen. »Operation Walross. Frisst Seelöwen. Churchills Idee.«
»Ich gebe mir alle Mühe zu glauben, dass es mehr bringt, wenn ich mich mit diesem versponnenen Zeug befasse, als wenn ich in Sussex und Kent mit meinen Kameraden den Nazis in den Arsch trete«, fuhr Gary fort.
Mary nickte. »Ich verstehe. Mir fällt es ja meistens selbst schwer, es zu glauben. Aber ich habe Beweise, Gary.«
»Historisches Zeug.«
»Ja. Und ich bin hier, um mit dem Captain darüber zu sprechen. Ich habe mich jetzt drei Jahre lang immer wieder mit dieser Sache beschäftigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Projekt der Deutschen tatsächlich zustande kommt, mag gering erscheinen. Aber falls doch, könnten die Folgen – nun ja, katastrophal sein.«
Gary runzelte die Stirn. »Wenn du nicht meine Mutter wärst, würde ich jetzt aufstehen und gehen. Man
hört einfach zu viel von diesem Mumpitz über Hitlers Superwaffen.«
»Ich habe Gary klargemacht, dass er nicht verpflichtet ist, bei dieser Sache mit von der Partie zu sein«, erklärte Mackie. »Tatsächlich ist er in keiner Weise verpflichtet, überhaupt an die Front zurückzukehren.«
»Ich will keinen verdammten Job in der Etappe«, sagte Gary heftig. »Das würde mich schneller umbringen als jede Nazikugel.« Mary zuckte zusammen, und er bereute es sofort. Er bedeckte ihre Finger mit seinen. »Tut mir leid, Mom. Aber du siehst ja, wie es ist. Besonders jetzt, wo es jeden Moment losgehen kann. Hab ich jedenfalls gehört.« Er trank seinen Tee aus, nahm die letzten Plätzchen vom Teller und steckte sie in seine Tasche, der alte Reflex eines Gefangenen. »Also, ich muss weg. Ich wünschte wirklich, wir hätten mehr Zeit gehabt, Mom.« Er beugte sich vor, um sie noch einmal in die Arme zu nehmen, und ließ sich eine lange Minute von ihr festhalten. Als sie sich voneinander lösten, sagte er: »Wisst ihr was? Wenn ich zurückgehen und die Vergangenheit
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