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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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mehr Schlaf.«
    »Ja.« Aber er wandte sich seiner Mutter zu, weil er ihr alles erzählen wollte. »Hör zu, Mom. Sie sind in ihren Panzern durchs Land gerast. Nichts konnte sie aufhalten. Wir haben uns immer nur zurückgezogen – nicht kampflos, aber trotzdem. Die Briten waren einfach nicht darauf vorbereitet, was da über sie hereingebrochen ist. Ich hab gehört, wie einige von ihnen gemeckert haben, in Indien sei’s ganz anders gewesen. Und Herrgott, was wir gesehen haben. Frauen und Kinder, die aus der Luft niedergemäht worden sind …«
    »Ist schon gut«, sagte Mary.
    »Tja, und dann waren wir an der Küste. Die Deutschen hatten uns in der Zange. Und wir haben gehört, dass Guderian mit seiner Ersten Panzerdivision im Anmarsch war. Wir wussten alle, was dieser Dreckskerl in Polen angerichtet hatte. Es hieß, er habe Gravelines erreicht und Brückenköpfe über den dortigen Fluss gesichert. Er hat einen Tag abgewartet. Das war letzten Freitag. Ich weiß nicht, warum er haltgemacht hat.
Dadurch konnten wir mit der Evakuierung anfangen. Aber dann, am Samstag, hat er uns angegriffen.
    Wir haben eine äußere Verteidigungslinie eingerichtet, Mom. Wir haben Widerstand geleistet . Aber es war ein Gemetzel. Die Panzer haben sich in unsere Flanken gebohrt, die verdammte Luftwaffe hat uns von oben attackiert, und wir sind einfach nicht schnell genug auf diese Schiffe gekommen. Ich habe drei Tage in einer Schlange, einer typischen, gottverdammten englischen Schlange auf einen Platz auf einem Zerstörer gewartet. Nichts zu essen, kein Wasser, rein gar nichts.
    Ich bin davongekommen. Ich hatte Glück. Hier geht das Gerücht, dass es vielleicht zehn Prozent nach Hause schaffen werden, von vier hundert tausend an diesen Stränden. Das ist die Hälfte des verdammten englischen Heeres, Mom. Ich habe keine Ahnung, wie die Briten den Deutschen danach überhaupt noch einen anständigen Kampf liefern wollen.«
    »Schsch«, machte Mary, denn er geriet in Erregung; sie versuchte ihn zu beruhigen, strich ihm die Stirn glatt.
    »Er hat fünf Tage lang nicht geschlafen, glaube ich«, murmelte Kamen. »Es wird noch eine Weile dauern, bis er wieder gesund ist.«
    Aber Gary war noch immer voller Unruhe. »Die Engländer haben ihren Krieg vielleicht schon verloren, Mom – an den Stränden Frankreichs. Ehe man sich’s versieht, werden sie hier sein. Die Nazis.«
    George schüttelte den Kopf. »Die kommen nicht rüber. Hitler will einen Waffenstillstand. Das sagen sie jedenfalls.«

    Gary lachte tatsächlich, obwohl es ihm Schmerzen bereitete. »Einen Waffenstillstand? Nach all dem?«
    Dann kamen eine Schwester und ein Arzt und verabreichten ihm ein Beruhigungsmittel. Mary blieb bei ihrem Sohn sitzen, bis er eingeschlafen war.
    Der seltsame freiwillige Krankenhelfer, Ben Kamen, wartete auf seine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen.

IV
    17. Juli
    Es war ein weiterer ruhmreicher Tag in diesem langen, ruhmreichen Sommer. Und im besetzten Frankreich gab es nicht Ruhmreicheres, als ein Soldat des Reichs zu sein.
    Ernst Trojan hatte einen dienstfreien Tag, und den wollte er gut nutzen. Er wäre auch ohne die Aussicht auf Sex hierher in Claudines kleine Wohnung gekommen; lieber Claudines süßer Atem als die stürmischen Fürze eines fetten bayerischen Schweins von einem Obergefreiten in der Wehrmacht-Zeltstadt – oder schlimmer, noch ein paar Stunden mit seinem älteren Bruder und dessen Saufkumpanen von der SS und ihrem betrunkenen Spott. Und dennoch, als die Hitze gegen Mittag stieg, während er mit Claudine nackt auf ihrem Bett lag und das Licht durch die Lamellen der Fensterläden schräg in das staubige, von angenehmen Düften erfüllte Zimmer fiel, sehnte er sich danach, draußen in der Welt zu sein.
    »Zieh dich an«, befahl er Claudine mit einem Grinsen. Er warf ihr ein Bündel Kleider zu und suchte nach seiner Hose.
    Sie lag da und beobachtete ihn. Claudine Rimmer
war groß – sogar größer als er –, mit langen Armen und Beinen und schlankem Körper; sie lag nackt auf ihrem Bett, die Beine ein wenig gespreizt, eine unbewusste, unerschrockene Einladung. Mit ihrer dunklen Hautfarbe und dem vollen schwarzen Haar hätte er sie eher für ein Mädchen aus dem Mittelmeerraum als aus Boulogne an der Nordküste gehalten – jedenfalls noch vor zwei oder drei Monaten, aber da hatte er Deutschland noch gar nicht verlassen, und jetzt lernte er schnell dazu. Er hatte zum Beispiel gelernt, dass sie im Bett nicht so zart war, wie sie

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