Diktator
kann.«
»Ach, sei nicht so grummelig. Wie aufregend, ein Bruder bei der SS!«
Das Schnellboot wendete und hielt aufs Ufer zu.
Und dann schwirrte auf einmal ein Schwarm Flugzeuge über sie hinweg, die Bomber und Jäger der deutschen Luftwaffe, und sie zogen den Kopf ein. So ging das schon seit Anfang des Monats, Angriffe auf englische Hafenstädte, Bahnlinien, Flugplätze und Fabriken, ein einziger groß angelegter Versuch, England sturmreif zu schießen. Die Flugzeuge flogen dröhnend weiter, Welle um Welle, eine dreidimensionale Armada, die sich dramatisch in den Himmel türmte.
V
In seiner frisch gebügelten schwarzen Uniform der Waffen-SS war Josef ein Ausbund an guten Manieren. »Mademoiselle«, sagte er formvollendet, »wie sehr Sie das lichtlose Leben meines verkümmerten Bruders erhellen müssen!« Er verbeugte sich und küsste Claudine die Hand, wobei er diese, wie Ernst fand, ein wenig zu lange hielt.
Claudine lachte auf ihre charmante Weise, lachte mit Josef. Natürlich wusste Ernst, dass sie über ihn lachten. Sein Bruder war zehn Jahre älter als er und obendrein jenes entscheidende Stückchen größer und attraktiver; wie die beiden so nebeneinander standen, schienen sie viel besser zusammenzupassen als Claudine und er selbst.
Zu allem Überfluss war Josef mit einem Mädchen erschienen, das noch umwerfender aussah als Claudine. Groß und blond, trug sie ebenfalls Uniform, die einer SS-Unterscharführerin; sie hatte eine kleine Segeltuchtasche dabei. Ihr Name war Julia Fiveash, und überraschenderweise war sie Engländerin. Sie gehörte einer SS-Einheit namens »Legion des heiligen Georg« an, die aus britischen Bürgern bestand. Von Claudine schien sie kaum Notiz zu nehmen, und sie sah Ernst
von oben herab an. Aber die schwarze SS-Uniform, die sie trug, wirkte an ihr fast schon unerträglich glamourös.
Josef führte sie zu einer Bar in der Nähe des Hafens. Sie saßen im Freien, an einem polierten Tisch mit einer hübschen Spitzendecke, und Josef bestellte Kaffee und Cognac für alle. Der servile Wirt weigerte sich standhaft, Geld von einem SS-Offizier anzunehmen; Josef beharrte genauso höflich darauf zu bezahlen und gab ihm nagelneue Reichsmark-Scheine.
Julia wandte sich an Ernst. Ihr Deutsch war klar und präzise, fast ohne englischen Akzent. »Josef ist SS-Standartenführer, was beim englischen Militär ungefähr dem Dienstgrad eines Colonels entspricht, glaube ich«, sagte sie. »Und Sie, Ernst?«
»Ich bin Gefreiter«, sagte er verlegen. »Ein Wehrmacht-Dienstgrad …«
»Anders als bei der SS. Niedriger als ein Corporal? Aber Sie sind ja auch viel jünger als Josef, nicht wahr? Da muss man wohl gewisse Zugeständnisse machen.«
Josef lachte. »Selbst Julia hat einen höheren Dienstgrad als du. Sie ist schon zur Unterscharführerin aufgestiegen.«
»Wir würden ›Sergeant‹ sagen«, erklärte Julia. »In der Legion sprechen wir normalerweise Englisch …«
Der Wirt brachte ihre Getränke; er stellte sie so schnell wie möglich hin und eilte mit abgewandtem Gesicht davon.
»In Ihrem Beruf«, sagte Josef mit samtener Stimme
zu Claudine, »gibt es natürlich keine Dienstgrade im eigentlichen Sinn, nicht wahr?«
Das verwirrte Ernst. »Sie ist Lehrerin.«
»Aha. Aber ich meine Ihren neuen Beruf, meine Liebe.« Er langte nach unten und hob beiläufig Claudines Rock hoch.
Claudine wich nicht zurück und zeigte auch keinerlei Furcht.
Ernst schlug die Hand seines Bruders weg. »Lass sie in Ruhe. So ist das nicht.«
»Ach, komm schon, Ernst, sei nicht naiv. Alle Kollaborateure sind Huren; es ist nur eine Frage des Preises. Bildest du dir wirklich ein, so ein Mädchen würde sich mit einem Mann wie dir blicken lassen, wenn der Krieg nicht wäre?« Er zwinkerte. »Du könntest dir dein Geld auch sparen, weißt du. Die SS wird bald ihre eigenen Bordelle eingerichtet haben. Ich könnte dir einen Passierschein besorgen. Und überhaupt, da wir von guter arischer Herkunft sind, würdest du deinem Land einen Dienst erweisen, wenn du deinen Samen zwischen den Schenkeln einer vollbusigen blonden Maid verspritzen würdest.«
Julia lachte und blies Rauch aus. »Es wird ein arisches Paradies sein, wenn die SS alles in Ordnung gebracht hat, was, Josef?«
»Ja, für uns schon, meine Liebe.« Missbilligend betrachtete er Claudines Teint und zupfte an einer Locke ihres Haars. »Die tut’s fürs Erste, glaube ich. Aber ich bezweifle, dass sie die Rassekriterien erfüllen wird. Schade. Ich hätte
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