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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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aussah.
    Als sie merkte, dass er es ernst meinte, setzte sie sich seufzend auf, stöberte in ihren Kleidern und fand einen BH von unglaublicher Raffinesse. »Du langweilst dich allmählich mit mir, was, Gefreiter Trojan? Wir haben noch jede Menge Gummis.« Sie strich über einen Haufen Kondome aus englischen Militärbeständen auf ihrem Nachttisch, Kriegsbeute von weit besserer Qualität als die Standardausgabe der Wehrmacht.
    »Natürlich nicht. Es ist nur so ein schöner Tag – hier wird Geschichte gemacht, und wir sind mittendrin – da kann selbst die Liebe warten!«
    Sie zog sich die Bluse über den Kopf, redete dabei jedoch weiter. »Ist dir die Zeit nicht recht? Da bin ich flexibel.« Ihr Deutsch war gut, obwohl ihr Akzent ihn manchmal stutzen ließ. »Ich bin Lehrerin, stehe aber noch ganz am Anfang, Ernst. Mir fällt schon eine Ausrede ein. Der Bildungshunger hält sich momentan ohnehin in Grenzen, und bald sind Sommerferien. Ich kann mich zeitlich nach dir richten.«

    Sie sprach immer lebhaft, ja geradezu herausfordernd mit ihm, ohne einen Hauch von Schwäche oder Abhängigkeit in der Stimme. Er sagte sich, dass er sich kein Mädchen ausgesucht hätte, das sich ihm gegenüber anders verhalten würde. Aber lag darin nicht auch eine subtile Zurückweisung? Seine alten Minderwertigkeitsgefühle wallten in ihm auf. Plötzlich war er kein Soldat der alles bezwingenden deutschen Wehrmacht mehr, sondern nur der arme, törichte Ernst Trojan aus München mit den Strubbelhaaren und den Segelohren. »Du siehst besorgt aus«, sagte er. »Meinst du, ich würde mich schämen, mich mit dir auf der Straße blicken zu lassen?«
    »Das nicht. Es ist nur so, dass andere das zwischen uns – was immer es ist – vielleicht nicht auf die gleiche Weise sehen, Ernst.«
    »Wenn andere sich ein Urteil über uns anmaßen, ins Meer mit ihnen! Das Einzige, was zählt, sind wir und das, was zwischen uns ist. Und wir wissen, was das ist, nicht wahr, Claudine?«
    »Wenn du meinst«, sagte sie in ruhigem Ton. Sie zog die Strümpfe an, die er ihr geschenkt hatte, stöberte nach den Kosmetikartikeln, die er ihr mitgebracht hatte, und stopfte das Bündel Reichsmark, das er ihr gegeben hatte, in ihr Portemonnaie.
    Sie spazierten durch die Altstadt, in Richtung Meer. Das Viertel war von alten Römermauern umgeben. Das Römische Reich hatte sich niemals bis dorthin erstreckt, wo Ernst aufgewachsen war; solche Altertümer regten seine Fantasie an. Und heute flatterten
überall rote Parteifahnen mit dem fetten schwarzen Hakenkreuz im weißen Kreis. Er machte eine Bemerkung darüber, dass sie den Bauwerken, an denen sie hingen – dem Hôtel de Ville, den Toren der Stadtmauer  –, ein bisschen Farbe gaben. Claudine schwieg. Ernst hielt sie an der Hand, und sie wiegte sich beim Gehen in den Hüften, so dass sie ihn hin und wieder leicht streifte. Sie war wunderschön, dachte er, ins Sommerlicht getaucht, das durch den Stoff ihrer Bluse schien. Voller Stolz ging er mit ihr spazieren, in seiner Wehrmachtsuniform, die Mütze auf dem Kopf. Dennoch konnte er selbst an diesem schönen Morgen nicht vergessen, dass sie größer war als er, größer und älter.
    Sie gingen zur Küstenstraße hinunter, dem Quai Gambetta, und wandten sich nach Norden, wo erst der Hafen kam und dann die Straße nach Calais. Und hier erblickten sie die faszinierendste Sehenswürdigkeit der Stadt: die Invasionsflotte.
    Der Hafen war voller Fluss- und Schleppkähne, die zu diesem Zweck requiriert und auf der Seine und dem Rhein hierhergebracht worden waren. Sie reihten sich aneinander wie Baumstämme auf einem Fluss, so dicht, dass man trockenen Fußes quer durch den Hafen hätte gehen können, von einer Kaimauer zur anderen. Die Kanalüberquerung in diesen klobigen Wasserfahrzeugen würde alles andere als angenehm sein; sie würden geschleppt werden müssen und sahen schrecklich anfällig für Angriffe aus. Die Überfahrt würde jedoch nicht lange dauern – keinen halben Tag, hatten ihm seine Vorgesetzten versichert. Draußen auf
dem Meer lagen schwerere Schiffe vor Anker, motorisierte Truppentransporter und andere graue Schatten auf dem hellen Wasser.
    Sie gingen weiter und erreichten die Strände nördlich der Stadt, wo die Männer Landungsübungen absolvierten. Die Landungsboote fuhren eins nach dem anderen auf den Strand, und die Infanteristen sprangen ins seichte Wasser und wateten an Land, beladen mit Tornistern und Waffen. Ein Trupp mühte sich ab, ein

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