Diktator
benehmen, sonst stößt Ihnen was zu, ist es so gedacht?«
»Genau. Und da sich vor dem Krieg schon niemand für mich interessiert hat, sitze ich jetzt natürlich in der Klemme, was?« Er lächelte, aber es wirkte gezwungen.
»Üble Sache, Harry.«
Ein deutscher Lastwagen fuhr vor. Zwei sehr junge Soldaten, einer davon mit Brille, stiegen aus. In eine angeregte Unterhaltung vertieft, holten sie Karteikästen aus Pappe von der Ladefläche des LKWs und kamen zur Tür herauf. Sie schenkten Burdon und George nicht die geringste Beachtung, bis sie merkten, dass die Tür zu war. Dann brachen sie ab und starrten die beiden an.
»Lassen Sie mich …«, sagte George.
»Nein, nein«, wehrte der Bürgermeister mit rotem Gesicht ab. Er zog die Tür auf und hielt sie fest, während die beiden Deutschen ohne ein Wort des Dankes hindurchgingen.
»Wird ein langer Tag«, sagte George leise.
Harry Burdon zupfte ihn am Ärmel. »Hören Sie, George«, murmelte er, »kümmern Sie sich nicht um solche kleinen Arschlöcher wie die beiden. Es gibt noch andere Neuigkeiten.«
»Woher?«
»Braucht Sie nicht zu interessieren. Churchill redet mit den Amerikanern. Es könnte irgendeine Abmachung geben . Das habe ich gehört. Wir sind noch nicht am Ende, mein Freund.«
Harry Burdon war ein rundlicher, wohlgenährter Bursche, groß und ein bisschen übergewichtig, mit einem vollen grauen Haarschopf und einem Hang zu altmodischen
Westen und Taschenuhren. Er sah aus wie ein generöser Geschäftsmann aus viktorianischer Zeit: kompetent, solide, auf bescheidene Art erfolgreich, bereit, durch sein Wahlamt etwas zurückzugeben. Und doch erblickte George jetzt hinter Harrys nicht übermäßig einnehmendem Äußeren eine Schattenwelt verborgener Kommunikationskanäle – geheime Telefonleitungen, Radiogeräte hinter vertäfelten Wänden. Er war ein Mann, der wusste, wem er vertrauen konnte. Und er war ein Mann, der sich bereit machte, die grimmigen Realitäten seiner eigenen neuen Position als Geisel und Diener der neuen Staatsgewalt zu akzeptieren und zu tun, was er für seine Pflicht hielt.
»Danke, Harry«, sagte George herzlich.
»Halten Sie die Ohren steif. Kommen Sie, machen wir weiter.«
Im Rathaus waren die Deutschen bereits emsig bei der Arbeit. Sie requirierten Büros und bauten in der Eingangshalle ihre eigenen auf Böcken stehenden Tische auf.
»Effizient sind sie, was?«
»Dieses Jahr hatten die Deutschen jede Menge Übung in der Kunst der Okkupation.« Es war Julia Fiveash, die auf sie zukam. »Und sie scheinen eine natürliche Begabung für Papierkram zu haben. Natürlich wissen diese Burschen hier, dass es im Vergleich zum Kampfeinsatz an der Front ein gemütlicher Job ist, und deshalb werden sie ihn umso enthusiastischer in Angriff nehmen …«
Sie war unbestreitbar schön, mit diesem Schopf nach
hinten gekämmter blonder Haare, die ein Gesicht mit feinen Zügen und einem Filmstarlächeln rahmten. Die frisch gebügelte SS-Uniform an ihrem sportlichen Körper betonte diese Schönheit nur noch mehr. Sie hatte eine ungesunde Anziehungskraft, dachte George, einen tödlichen Charme. Aber, rief er sich ins Gedächtnis, sie war Engländerin, eine überprivilegierte Engländerin aus der Oberschicht in einer schwarzen Nazi-Uniform, die hier war, um sich als Herrin über ihr eigenes Volk aufzuspielen.
»Wenn Sie mich entschuldigen, Bürgermeister, Unterscharführerin, ich sollte jetzt meinen Posten beziehen …«, sagte George.
»Oh, ich glaube, Sie sollten genau da bleiben, wo Sie sind, Constable«, erwiderte Julia in ruhigem Ton. »Standartenführer Trojan hat ausdrücklich nach Ihnen verlangt. Ich glaube, er mochte Sie.«
»Warum?«, knurrte George.
»Wegen der Art, wie Sie Ihren Job erledigen – und wegen Ihrer für die englische Unterschicht so typischen Bärbeißigkeit.« Sie machte sich über ihn lustig. »Er hält Sie für einen Mann, mit dem er gut zurechtkommen könnte. Obwohl er findet, dass Sie Anspruch auf einen anständigen Rang hätten – Sergeant vielleicht. Ich bin sicher, wir können das für Sie regeln. Wunderbar, nicht wahr, was für Möglichkeiten der Krieg einem eröffnet? Vielleicht sollten wir uns in Ihrem Büro unterhalten, Bürgermeister Burdon?«
Harry Burdon ging voran. Julia und George folgten ihm.
»Ich möchte Ihnen beiden gegenüber ausdrücklich betonen, wie wichtig die Arbeit ist, die Sie hier leisten werden. Die Militärbefehlshaber sind nicht daran interessiert, in Hastings die
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