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Dimension 12

Dimension 12

Titel: Dimension 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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überlassen.
    »Ich war Angestellter«, sagte Marti. »Aber das liegt längst hinter mir. Ich bin unterwegs zur Welt der Tausend Farben, um die Prüfung abzulegen! Die Prüfung!«
    »Die Prüfung«, wiederholte Hollinrede. Grüßend hob er seine nicht durchstochene Flasche, setzte sie an die Lippen und tat, als leerte er sie. Ihm gegenüber begann Derveran Marti zu husten, als ihm der Schnaps durch die Kehle rann. Er blickte auf, lächelte benommen und leckte sich die Lippen.
    »Wann geht dein Schiff?« erkundigte sich Hollinrede.
    »Morgen mittag. Es ist die ›Sternsteiger‹. Ich kann es kaum mehr erwarten. Diese Zwischenlandung auf Niprion macht mich rasend.«
    »Kann ich verstehen«, nickte Hollinrede. »Was würdest du von einem kleinen Spielchen halten, um die Zeit totzuschlagen?«
    Eine Stunde später war Derveran Marti an dem eingelegten Kartentisch in Hollinredes Hotelzimmer zusammengesunken. Eine Handvoll Karten stak noch zwischen seinen Fingern. Hollinrede verschränkte die Arme und betrachtete den Toten.
    Sie waren ungefähr gleich groß, er und der Tote, und mit einer Chemothermmaske konnte Hollinrede sein Gesicht ausreichend verändern, um sich als Marti auszugeben. Er schaltete den Rücklauf des hoteleigenen Tonbandgeräts ein, und hörte sich die letzten Bruchstücke ihrer Unterhaltung an.
    »… möchtest du noch etwas trinken, Marti?«
    »Lieber nicht, alter Knabe. Mir schwirrt schon der Kopf, verstehst du? Nein, bitte schenke mir nicht nach. Ich will nichts mehr, habe ich gesagt, und – also gut. Aber nur einen Kleinen. So, genug. Danke.«
    Das Band verstummte, dann gab es den leisen Aufschlag wieder, mit dem Marti auf die Tischplatte gesunken war, als das rasch wirkende Gift seine Chromosomen zersetzt hatte. Schmunzelnd stellte Hollinrede das Tonband auf Aufnahme und ahmte Marti nach: »Lieber nicht, alter Knabe. Mir schwirrt schon der Kopf, verstehst du?«
    Er schaltete auf Wiedergabe und hörte seinen Tonfall kritisch ab. Dann, hörte er sich zum Vergleich wieder Martis Stimme an. Allmählich glich er sich der leichten, vibrierenden Stimme des Toten an. Er mußte nur noch ein paarmal üben, dann hatte er es. Er zog ein Tonmeßgerät aus der Tasche, ließ zuerst Martis Stimme ablaufen und sprach dann die gleichen Worte nach.
    Die Stimmqualität stimmte bis auf drei Dezimalstellen überein. Das genügte, um auch das empfindlichste Abhörgerät zu täuschen. Drei Dezimalstellen entsprachen der normalen Schwankung der menschlichen Stimme.
    Was die Masse anbelangte, so wog er um wenige Gramm zuviel. Aber diesen Unterschied konnte er leicht am nächsten Morgen im Turnsaal abschwitzen. Und was Haltung und Bewegungen des Toten betraf, war Hollinrede überzeugt, Marti täuschend nachahmen zu können. Er hatte den jungen Angestellten vier Stunden lang genauestens beobachtet. Und Hollinrede war ein geschickter Mensch.
    Schließlich waren alle Vorbereitungen beendet. Hollinrede trat zum Spiegel und betrachtete zum letztenmal sein eigenes Gesicht, das er bis zur bestandenen Prüfung nicht mehr sehen würde. Er zog die Maske über. Jolvar Hollinrede verwandelte sich in Derveran Marti. Die Leiche am Kartentisch sträubte sich nicht gegen den Identitätsverlust.
    Hollinrede öffnete eine Schublade, aus der das Ende eines Wattepackens hervorragte und wand die Watte um Martis Leib. Er wog den Toten ab, und fügte noch vier Gramm Watte hinzu, damit Martis Körpergewicht genau seinem eigenen entsprach. Dann zog er sich Martis Kleider an und steckte die Leiche in sein eigenes Gewand. Mit bedauerndem Lächeln nahm er seine täuschend echten, aber wertlosen Ringe ab und schob sie auf Martis Finger, die bereits erstarrten.
    »Raus mit dir«, brummte er und trug die Leiche durchs Zimmer zum Müllschlucker.
    »Lebwohl, alter Freund«, rief er gefühlvoll und drückte Marti, mit den Füßen voran, in den Schlitz des Schachtes. Er schob nach, und der Tote glitt langsam und elegant zum gefräßigen Schlund des atomaren Umformers, der sich im Untergrund des Raumhafens von Niprion verbarg.
    Nachdenklich wandte sich Hollinrede vom Müllschlucker ab. Er sammelte die Karten zusammen, räumte den Schnaps weg und goß den Rest des vergifteten Alkohols in den Müllschacht.
    Ein atomarer Umformer ist schon etwas Wunderbares, dachte er zufrieden. Martis Leiche war inzwischen auf ihre Bestandteile reduziert worden, die binnen kurzem in Atome zerteilt wurden und anschließend noch in subatomare Teilchen. In einer Stunde war vom

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