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Dimension 12

Dimension 12

Titel: Dimension 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Trotzdem zwang sie sich zum Weitergehen, bis das Wasser ihren Schoß umspülte. Dann kniete sie nieder. Das Wasser reichte ihr dadurch bis ans Kinn. Der schlammige Grund war unerträglich heiß. Sie grub die Zehen fest in den Schlamm, um den Schmerz leichter zu ertragen. Haugan stand neben ihr und wusch ihr mit beiden Händen den Ruß ab. Sie erwies ihm den gleichen Dienst. Nach etwa fünf Minuten eilten sie sauber aus dem Wasser. Ihre Haut war gerunzelt und rot; seine hatte sich nicht verändert.
    Am Ufer stehend, sah Elena nach links zum rauchenden Vulkan und dann nach rechts zum unbewegten, höheren Gipfel. Warum gab es auf jenem Berg keine Ansiedlungen? Er war nicht heilig. Das Vieh weidete dort, Kinder trieben ihren Unfug, aber niemand wohnte dort. Das Volk vom Goldenen Fluß drängte sich um den niedrigeren Gipfel. Bisher hatte sie noch nie gefragt, warum das so war. Abgesehen von den Wegen und den Weiden war der hohe Berg von dichtem Urwald bewachsen. Nur auf dem Gipfel selbst lag eine alte Schlackeschicht.
    Der Vulkan grollte. Elena vernahm ein neues, unheimlicheres Geräusch. Es klang wie ein schrilles Pfeifen. Kündigte sich damit der Untergang an?
    Sie klammerte sich an Haugan. »Gehen wir zurück. Du mußt deinen Leuten befehlen, ihre Dörfer zu verlassen!«
    »Muß ich das?« fragte er belustigt.
    »Sie werden sterben!«
    »Ja«, sagte Haugan gleichmütig. »Einige werden sterben, andere nicht.«
    Erschrocken und verständnislos starrte sie ihn an.
    »Es kann nicht mehr lange dauern«, sagte sie. »Vielleicht wird die Lava schon heute nachmittag kommen.«
    »Früher sogar«, antwortete Haugan. »In der nächsten Stunde.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich weiß es.«
    »Und das Volk – dein Volk…«
    »Jene, die verschont bleiben sollen, wandern bereits aus. Sieh doch.«
    Ihr Blick folgte seinem ausgestreckten Arm. Über die Straße, die sich durchs Tal zu den Hängen des fernen Berges wand, zog ein Menschenstrom, bepackt mit Habseligkeiten und Haustieren. Befreit atmete sie auf. Der Exodus hatte also begonnen! Lange Zeit beobachtete sie die Marschierenden. Dann aber wandte sie sich den Dörfern zu und sah, daß viele Leute unverdrossen ihre Arbeit fortsetzten, als gäbe es keine Gefahr für sie. Das verstand sie nicht.
    »Warum fliehen nicht auch diese Leute, wenn die Frist schon so knapp ist?«
    »Sie bleiben«, sagte Haugan. »Nur einige wenige retten sich, um die neuen Dörfer zu gründen. Wie immer hat sich unser Volk sehr rasch vermehrt. Wir sind zu viele geworden. Ich habe jene Leute ausgewählt, die sich auf die andere Seite der Insel zurückziehen sollen. Es ist nicht das erstemal.«
    »Nicht das erste…«
    »Jede fünfte Generation erlebt die Nacht des Feuers. Jeder Berg muß abwechselnd seine Hänge von den Dörfern reinigen. Dann bauen wir wieder neu auf.« Haugan lächelte. Sie zitterte vor Aufregung. Da ergriff er ihre Hände und drückte sie zärtlich. »Die Pflicht ruft mich. Willst du dabei sein, Elena?«
    Sie folgte ihm am Ufer bis zu einer Stelle, wo das Wasser gegen den vorspringenden Vulkan plätscherte. Hier waren die Pflanzen durch die plötzliche Hitze des Sees verwelkt. Elena sah eine Schneise im Wald, einen riesigen Graben, der vom Ufer bis zum Felsen führte. Sie wußte, daß in den letzten Monaten viele Männer an dieser Stelle gearbeitet hatten. Jetzt sah sie ihr Werk. Haugan ging ein kurzes Stück landeinwärts. Der Graben endete in einer Barrikade aus Baumstämmen, die fest ineinander verkeilt waren und ein Schleusentor bildeten. Das warme Wasser sammelte sich an der Schleuse, ohne einzudringen.
    Haugan kniete nieder. Er griff in den warmen Schlamm und rieb seinen Körper damit ab. Dazu murmelte er Worte in einer unbekannten Sprache. Er deutete auf den fernen stummen Gipfel.
    Dann sagte er zu ihr: »In dem Berg ist Feuer. Sobald sich das Wasser des Sees mit dem Feuer vereinigt, bricht die glühende Lava hervor. Dies ist die Seeschleuse. Ich muß sie jetzt öffnen.«
    Er griff nach einem zugespitzten Pflock. »Heißt das, daß das Wasser durch diese Schleuse an den Lavastrom gerät?« fragte Elena.
    »Ja.«
    »Und du entfernst die Sperre?«
    »Ja.« Damit stieß er den Pflock in die Gerten, mit denen die Schleuse zusammengebunden war.
    Sie war geschickt gebaut. Haugan stieß an mehreren Punkten zu, und das große Schleusentor glitt auf unsichtbaren Angeln zurück. Fassungslos starrte Elena in das schwarze Berginnere. Sie sah keine Flammen, die im Vulkan gelauert hatten,

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