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Dimension 12

Dimension 12

Titel: Dimension 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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der Techniker. »Die Füße kommen genau neben die roten Dreiecke. Halten Sie sich am Geländer fest – so. Und dann warten Sie.«
    Alfieri gehorchte. Seit langem war er es nicht mehr gewohnt, sich herumkommandieren zu lassen, aber er verzieh dem Mann seine Unhöflichkeit. Für den Techniker war Alfieri nichts weiter als ein Stück Lebendgewicht, in dem bereits die Maden saßen. Alfieri stellte sich auf den vorgeschriebenen Platz und betrachtete seine spiegelblank geputzten spitzen schwarzen Schuhe. Er umfaßte den rauhen, gelben Überzug des Geländers. Und wartete auf das Emporschnellen der Stromspannung.
    Er wußte, was geschehen würde. Vor zwanzig Jahren, als das europäische Kraftnetz im Entstehen war, hatte Alfieri als Ingenieur in Mailand gearbeitet. Er verstand die Vorgänge des Fokus, so gut das bei einem Nicht-Mathematiker eben möglich war. Alfieri hatten den Ingenieurberuf aufgegeben, um einen Industrietrust zu gründen, der von den Alpen bis ans Mittelmeer reichte. Trotzdem kannte er die neuesten Errungenschaften der Technik. Darauf war er stolz. Er konnte sich in jeder beliebigen Fabrik an die Werkbank stellen und den Arbeitsvorgang erklären. Im Gegensatz zu den meisten Direktoren war sein Wissen nicht nur breitgefächert, sondern ging auch in die Tiefe.
    Alfieri wußte daher, daß das Ansteigen der Stromspannung kurzfristig einen Zustand hervorrief, der Singularität genannt wurde. Im Kosmos tritt dieser Zustand nur in der unmittelbaren Nachbarschaft zerfallender Planeten ein. Ein einstürzender Stern, eine ausgebrannte Supernova erzeugt einen Wirbel, einen Trichter ins Nichts, die Singularität eben. Schrumpft der Stern ein, so nähert er sich dem Schwarzchild Radius, dem kritischen Punkt, bei dem die Singularität ihn aufsaugt. Für den zerfallenden Stern verlangsamt sich der Zeitablauf, wenn er sich dem Radius nähert. Sein schwaches Licht geht allmählich in Rot über. Die Zeit stürmt zur Ewigkeit, wenn die Singularität den Stern erfaßt und aufsaugt. Und ein Mann, der zufällig diesem Vorgang beiwohnt? Auch er gerät in die Singularität. Schwerkraftgezeiten von unvorstellbarer Kraft erfassen ihn. Er wird bis an die Grenzen des Möglichen gedehnt und gleichzeitig zusammengepreßt, bis sein Volumen gleich Null und von gewaltiger Dichte ist. Dann wird er hinausgeschleudert – irgendwohin.
    In diesem Labor gab es keine zerfallenden Sterne. Gegen ein entsprechendes Honorar jedoch konnten sie welche simulieren. Für Alfieris Lirebündel waren sie bereit, das Universum einer strukturellen Distorsion auszusetzen, eine winzige Lücke zu schaffen und ihn durch den Fokus auf einen Planeten zu schießen, auf dem unheilbare Krankheiten nicht unheilbar bleiben mußten.
    Alfieri wartete. Er war ein gepflegter, lebhafter Fünfziger. Seine dünnen, blonden Haarsträhnen waren pomadisiert und kreuzweise über den braungebrannten hohen Hinterkopf gelegt. Er trug den Tweedanzug, den er ‘95 in London gekauft hatte, eine dazu passende grau und grün gemusterte Krawatte und seinen kleinen Saphirring. Seine Finger schlossen sich um das Geländer. Er spürte nicht, wie sich die Stromspannung erhöhte, das Universum aufbrach und Franco Alfieri durch einen gähnenden Schlund an einen Ort katapultiert wurde, von dem sich Newtons Philosophie nichts hatte träumen lassen.
    Das Wesen namens Vuor sagte: »Hier ist die Mittelstation.«
    Alfieri sah sich um. Auf den ersten Blick erschien seine Umgebung unverändert. Er stand noch immer auf einer schimmernden Kupferplatte und hielt das rauhe Geländer umklammert. Auch die Quarzwände der Kammer schienen dieselben zu sein. Aber ein fremdartiges Wesen spähte in die Kammer und Alfieri wußte, daß er sich in einer anderen Welt befand.
    Das Gesicht des Fremden war völlig leer. Ein Schlitz anstelle des – Mundes, weiter oben zwei Augenschlitze, keine sichtbaren Nasenlöcher, eine flache, grünliche Oberfläche, die auf einem breiten Nacken saß, ein dreieckiger, schulterloser Rumpf, seilähnliche Extremitäten. Alfieri hatte beruflich öfters mit fremdartigen Wesen zu tun gehabt und erschrak nicht vor Vuor, obwohl er noch nie ein ähnliches Geschöpf gesehen hatte.
    Der Schweiß brach ihm aus allen Poren. Flammen züngelten in seinem Hals. Von völliger Betäubung aber wollte er nichts wissen, weil er nur Alfieri sein konnte, wenn sein Verstand wach war. Aber die Schmerzen waren fürchterlich.
    »Wann kann man mir endlich helfen?« fragte er.
    »Was fehlt

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