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Dimension 12

Dimension 12

Titel: Dimension 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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gesehen hatte, aber das stimmte nicht, weil die Wolke wie Nebel in den Baumkronen unter der Aschenregion hing. Die Blitze hatten etwas mit dem rumorenden Vulkan zu tun. Sie knatterten und tanzten wie entfesselte Teufel über dem Krater.
    »Gehen wir lieber zurück ins Dorf«, sagte Elena nervös. »Es ist schon spät. Und finster obendrein.«
    Sie widersprachen nicht. Lachend und hüpfend liefen sie den Steilhang hinab, blieben aber immer wieder stehen, bis sie sie eingeholt hatte. Elena fand den Abstieg noch anstrengender als den Aufstieg. Die Schwerkraft war hier geringer als auf Erden, und sie war mit ihren dreißig Jahren in ausgezeichneter Kondition, aber der Pfad war entsetzlich steil. Endlich hatten sie wieder die Ebene erreicht und durchquerten den Talboden. Die ersten Häuser wurden sichtbar. Die Abendfeuer brannten bereits. Statt der zwanzig Kinder, die sie zum Aussichtspunkt begleitet hatten, wurde Elena jetzt von fünfzig, hundert, hundertfünfzig Kindern umringt. Sie begrüßten sie mit schrillen Freudenschreien, drängten sich an sie und klopften mit flachen Händen sanft auf ihre nackte Haut.
    An die Nacktheit hatte Elena sich relativ rasch gewöhnt, aber der Anblick dieser Kinderschwärme überwältigte sie noch immer. Auf Erden waren Kinder durch die streng eingehaltene Geburtenkontrolle selten geworden. Hier kannte man derartige Maßnahmen nicht. Und außerdem waren hier Fünflinge an der Tagesordnung. Noch nie hatte Elena gehört, daß weniger als drei Kinder auf einmal geboren worden wären. Sechslinge und Siebenlinge waren nichts Ungewöhnliches. Und die Kinder gediehen. Die Luft war warm und mild, das Tal fruchtbar, und der See sorgte reichlich für Nahrung.
    Stolz begleiteten die Kinder sie bis zur Kreuzung der Wege.
    Alle Leute gehörten einem einzigen Volk, einer einzigen Kultur an. Trotzdem waren die drei Dörfer von turmhohen Schranken der Gebräuche und Kasten getrennt. Largo, das Dorf in der Ebene, wurde von Bauern bewohnt. Hulgo, am Fuß des Vulkans, war die Siedlung der Handwerker und Töpfer. Gilgo, das am Hang selbst lag, brachte die Arbeiter hervor, die Bäume fällten, Häuser und Kanus bauten. Elena sah den Grund dieser Trennung nicht ein, außer, daß sie für eine Blutmischung auf der Insel sorgte. Ein Mann aus Gilgo holte sich seine Frau aus Largo oder Hulgo. Keiner heiratete innerhalb seines eigenen Dorfes. Dadurch wurde zumindest jede Inzucht vermieden. Abgesehen von den Heiraten aber bestand zwischen den einzelnen Dörfern wenig Verbindung. Diese künstliche Gliederung schien gut zu funktionieren.
    Haugan, der Häuptling aller drei Dörfer, wohnte hoch oben in Gilgo. Seine Regierungstätigkeit beschränkte sich in den beiden unteren Dörfern hauptsächlich auf die Ausrufung von Festen und Feiertagen. Elena schlug die Straße nach Gilgo ein. Nur Vondik, Markun und noch einige Kinder folgten ihr. Über der Insel hatte sich Dunst ausgebreitet. Elena war müde geworden. Sie stützte sich schwerer auf den Bergstock, den Vondik ihr geschnitten hatte. Bei den ersten Häusern Gilgos blieb sie stehen, eine schlanke, nackte Blondine von der Erde.
    Sie blickte zum rauchenden Gipfel auf, der undeutlich zwischen den Bäumen zu sehen war. Eine riesige Eruptionswolke hing jetzt über dem Kegel und wurde pausenlos von Blitzen zerrissen. Das unterirdische Grollen schien ihr lauter. Sie hatte das Gefühl, als schwebten winzige Aschenflöckchen durch die Luft, und sie kam sich schmierig und grau davon vor, obwohl ihr Finger rein blieb, als sie sich über die Brust fuhr. Sie eilte auf die große Hütte zu, die sie mit Haugan bewohnte.
    Der König kam ihr entgegen und schloß sie ernst in die Arme.
    »Was hast du gesehen?« fragte Haugan.
    »Feuer und Rauch und Blitze. Haugan, der Vulkanausbruch steht bevor.«
    »Noch nicht. Noch nicht. Das Abendessen wartet.«
    Er führte sie in die Hütte. Er war größer als sie, der größte Mann des Dorfes, wie sich das gehörte. Neben seinen geschmeidigen Bewegungen fühlte sie sich immer schrecklich plump. So fremd er ihr war, hatte ihr Körper spontan auf ihn reagiert, schon vom ersten Tage an, als sie als törichte Auswanderin in den Außenwelten Erleuchtung gesucht hatte. Sie hatte nicht erwartet, die Geliebte eines Fremden zu werden.
    Allerdings war er nicht völlig unmenschlich. Er hatte zu viele Finger und zu viele Gelenke. Seine Hautfarbe war merkwürdig, seine Augen bestanden nur aus Pupillen, er hatte weder Haare noch Fingernägel, und wie er

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