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Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Titel: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Kathrin / Lobo Passig
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gesetzliches Recht auf ein Sabbatjahr. Und sogar im kapitalistischen Herzen des protestantischen Arbeitsethos, in den USA, formieren sich die Speerspitzen einer Gegenbewegung. «Best Buy», mit weit über 1000   Ladengeschäften und mehr als 30   Milliarden Dollar Jahresumsatz der größte Elektronik-Discounter Nordamerikas, hat in seiner Zentrale ROWE eingeführt. ROWE, erfunden von den Best-Buy-Mitarbeiterinnen Jody Thompson und Cali Ressler, steht für «Results Only Work Environment» und bedeutet im Wesentlichen, dass vollkommen egal ist, wie viel, wie, wann und wo man arbeitet, wenn die Ergebnisse stimmen. Dafür gibt es einige Regeln, vor allem Kommunikationsregeln, das Wichtigste ist aber, die innere Verpflichtung des Acht-Stunden-Arbeitstages abzulegen und sich im Gegenzug auf Ergebnisse zu konzentrieren. Und die sind dort erstaunlich: In einigen Abteilungen stieg die Produktivität um bis zu 35   Prozent; die Mitarbeiterfluktuation sank um 90   Prozent. Bei der Einführung von ROWE war laut Thompson und Ressler das erste Problem für die Mitarbeiter, den so getauften «sludge» loszuwerden: den geistigen Klärschlamm der Überzeugung, dass es falsch ist, um 14   Uhr ins Kino zu gehen, anstatt am Schreibtisch Arbeit vorzutäuschen. Auch im Hauptquartier von Google im kalifornischen Mountain View praktiziert man die Abkehr von der Bezahlungnach Anwesenheit. Die Angestellten werden an ihren Ergebnissen gemessen und nicht an ihren Überstunden. Das Verfahren setzt allerdings einen klugen Arbeitgeber voraus, der der Versuchung widersteht, seine Mitarbeiter sofort mit der doppelten Menge Arbeit einzudecken, sobald sich herausstellt, dass sie weniger als acht Stunden am Schreibtisch sitzen.
    Trotz dieser Anzeichen, dass es in westlichen Gesellschaften eine Gegenentwicklung zum protestantischen Arbeitsethos gibt, peinigt die meisten von uns noch immer die Einstellung, Arbeit müsse mit der Selbstdisziplinierung beginnen, möglichst lange dauern und dürfe nicht allzu viel Freude bereiten. Zum Glück kann man das schlechte Gewissen zielgerichtet bekämpfen. Der erste und wichtigste Schritt ist, sich der anerzogenen Mechanik bewusst zu werden. Man muss das Arbeitsethos ja nicht gleich abschaffen, aber in seiner jetzigen Form kann man es beruhigt in eine Schublade legen und in ein paar Jahren mal nachsehen, ob man es vermisst hat.

Fleißlos glücklich
    Lob der Disziplinlosigkeit
    Aber kein Papa war zu sehen und auch keine Mama, und Annika fragte ängstlich:
    «Wohnst du hier ganz allein?»
    «Aber nein, Herr Nilsson und das Pferd wohnen ja auch hier.»
    «Ja aber, ich meine, hast du keine Mama und keinen Papa hier?»
    «Nein, gar nicht», sagte Pippi vergnügt.
    «Aber wer sagt dir, wenn du abends ins Bett gehen sollst und all so was?»
    «Das mach ich selbst», sagte Pippi. «Erst sag ich es ganz freundlich, und wenn ich nicht gehorche, dann sag ich es noch mal streng, und wenn ich dann immer noch nicht hören will, dann gibt es Haue.»
    (Astrid Lindgren, «Pippi Langstrumpf»)
    Zu Beginn des 21.   Jahrhunderts entwickelte sich in Deutschland eine bedenkliche Renaissance der Disziplin als ausschließlich positiver Wert. Ein vieldiskutiertes Beispiel ist die Wiedereinführung der Kopfnoten, also der Schulnoten für Fleiß, Betragen und Ordnung. Jochen Bölsche sieht auf «Spiegel online» «eine allmähliche Wende im Erziehungswesen» und stellt fest: «Der Ruf nach traditionellen Tugenden wie Fleiß, Disziplin, Manieren ist bei Eltern wieder ungemein populär – eine klare Abkehr vom Laisser-faire der 68er.» Den angeblichen pädagogischen Zusammenhang von Disziplin und Selbstdisziplin beschreibt Bernhard Bueb in «Lob der Disziplin», indem er bei Kindern und Jugendlichen die intensive Disziplinierung von außen empfiehlt, bis die Selbstdisziplin beim Heranwachsenden einsetzt.
    Dabei ist die Rolle der Selbstdisziplin im Alltag nicht so ausgiebig erforscht, wie man vielleicht denken könnte. Professor Dr.   Reinhard Tausch von der Universität Hamburg, Fachbereich Psychologie, stellte 2004 beinahe empört fest: «Trotz der Bedeutung der Selbstdisziplin für die Verminderung von nachteiligem Gesundheitsverhalten fanden wir keine empirische Untersuchung, die die Vorgänge bei der Selbstdisziplin im Alltag klärt!» Aus diesem Grund veranlasste er selbst eine solche Untersuchung mit 225   Teilnehmern, die uns ein empirisch untermauertes Bild vermittelt. Der Glaube an das Wundermittel Selbstdisziplin scheint

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