Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
nun ihre Tage im Bett verbringen, eng zusammenliegend, um warm zu bleiben und weniger Essen zu brauchen. (…) Die Einwohner von Beaucaire an der Rhône haben auf dem Markt im Sommer genug verdient, um den Rest des Jahres damit zu verbringen, zu rauchen, Karten zu spielen, zu jagen und zu schlafen.»
Der Psychologe Robert Levine untersuchte für sein Buch «Eine Landkarte der Zeit», wie Menschen in verschiedenen Kulturen mit Zeit umgehen. Er fand heraus, dass sich der Entwicklungsstand eines Landes daran ablesen lässt, wie viel Zeit seine Bürger mit Arbeit verbringen: Je entwickelter ein Land ist, desto weniger freie Zeit bleibt pro Tag. In Jäger-und-Sammler-Gesellschaften wird, so Levine, am wenigsten gearbeitet: «Die Kapauku auf Papua sind davon überzeugt, dass es nicht gut ist, an zwei aufeinander folgenden Tagen zu arbeiten. Die Kung-Buschmänner arbeiten zweieinhalbTage pro Woche, normalerweise sechs Stunden pro Tag. Auf den Sandwich-Inseln arbeiten die Männer nur vier Stunden pro Tag.» An dieser Stelle liegt der Einwand nahe, sie machten sich auf Kosten der Frauen einen schönen Lenz. Auch Frauen aber arbeiten, so Levine, in weniger entwickelten Wirtschaftssystemen durchschnittlich 15 bis 20 Stunden pro Woche, also immer noch deutlich weniger als in Europa vorgesehen. Das schlechte Gewissen, heute schon wieder nichts Vernünftiges getan zu haben, ist nicht nur vielen Kulturen in Afrika, Südamerika oder Asien weitgehend fremd, es scheint auch die Menschen in der westlichen Zivilisation erst mit dem Beginn der Industrialisierung überrollt zu haben.
In unserer heutigen Gesellschaft gibt es ebenfalls eine Reihe von Menschen, die in einigen Monaten genügend verdienen, um theoretisch den Rest des Jahres nicht arbeiten zu müssen oder sich dem Fluss des täglichen Passierens hinzugeben. Hinzu kommt, dass allein im Jahr 2006 die ungeheure Summe von 150 Milliarden Euro in Deutschland vererbt worden ist, naturgemäß zumeist an Menschen im arbeitsfähigen Alter. Aber hört man oft davon, dass sich der begüterte Teil der Erbengeneration von der Büroarbeit ab- und dem geliebten Hobby zuwendet, weil mit dem Erbe die finanzielle Absicherung erreicht ist? Nein, davon hört man wenig, denn in der kapitalistischen Gesellschaft gilt alles, was nicht zielgerichtet, produktiv und effektiv erscheint, als Makel. Daher kennen auch Nichterben, die zugegebenermaßen die Mehrheit stellen, aus anderen Gründen als nur dem finanziellen einen diffusen Arbeitsdrang.
Wir glauben, dass in der allgemein als verbindlich angesehenen gesellschaftlichen Arbeitswut eine der Ursachen dafür liegt, dass sich viele Menschen überfordert fühlen. Wir möchten das Gefühl der ständigen Arbeitsverpflichtung sezieren, was per definitionem erfordert, es vorher abzutöten.Vor diesem Hintergrund lohnt es sich zu fragen, wo es seine Wurzeln hat und weshalb es vielen Menschen zunächst Unbehagen bereitet, sich davon frei zu machen.
Folgen wir an dieser Stelle Max Weber, um den Ursachen der aktionistischen Arbeitswut auf den Grund zu gehen. Mit seiner Schrift «Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus» bringt er uns auf den richtigen Pfad: Das protestantische Arbeitsethos der reformatorischen Bewegung im 16. Jahrhundert ist die Keimzelle des schlechten Gewissens, das wir bekommen, wenn wir uns nicht ständig Mühe geben und nicht bei jeder Aufgabe an unsere Grenzen gehen. Der Urvater dieser lästigen Arbeitsauffassung hatte einen der hässlichstvorstellbaren Namen, der zudem als
telling name
verstanden werden möchte: der Schweizer Reformator Huldrych Zwingli. Seine reformatorischen Bemühungen fußten auf einer talibanesken Gedankenwelt, die es an Freudlosigkeit mit jedem unbeleuchteten Vakuum aufnehmen kann. Zu einem Musikverbot (zumindest in der Kirche) gesellten sich die üblichen protestantischen Zumutungen, gipfelnd in der Einstellung zum Thema Arbeit. Dauernde und fortwährende, freudlose Arbeit setzte er gleich mit Gottesfurcht, harte Plackereien waren in seinen Augen Gebete.
Der ihm wenige Jahre später nachfolgende Johannes Calvin verfeinerte diese Einstellung des Grauens noch und schuf mit seinem Calvinismus die religiösen Voraussetzungen für den durchschlagenden Erfolg des Kapitalismus und der Doktrin des Mühegebens. Max Weber stellte den ursächlichen Zusammenhang zwischen protestantischer Religion und dem arbeitsamen Streben folgendermaßen dar: «Erwerb von Geld und immer mehr Geld, unter strengster
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