Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
wie Dichtung», wobei Kegeln zu Benthams Zeiten als Unterschichtvergnügen für Kinder galt. Dahinter steht die Ansicht, dass es keine prinzipiell besseren oder schlechteren Tätigkeiten gibt, sondern nur solche, die Menschen froh machen, und solche, die das eben nicht tun.
In der näheren Definition des Utilitarismus kann man sich sicher jahrelang verheddern, vor allem in der für uns relevanten Frage, ob und wie sich das Unglück des einen mit dem Glück des anderen aufwiegen lässt. Wir möchten lediglich dezent darauf hinweisen, dass die Linderung unseres Leidens am Organisiertheitsdiktat nicht zwingend das Unglück derjenigen bedeutet, die darunter weniger leiden. Die Menschen sollen um 6.30 Uhr ins Büro gehen dürfen, sie sollen weiterhin Steuerberatungssoftware für hunderte Euro kaufen können, sie sollen gern auch in Zukunft bereits bei der allerersten Aufforderung sämtliche Aufgaben auf Listen notieren, erledigen und an alle Beteiligten kommunizieren. Aber wir wollen nicht mit schlechtem Gewissen dastehen müssen, wenn wir die Dinge anders erledigen. Oder später. Oder auch nicht.
5 einfache Übungen
Zeitungen Seite für Seite ins Altpapier geben, um so zu erlernen, wie man eine größere Aufgabe in übersichtliche Einheiten zerlegt.
Auch mal ein Getränk zwei Jahre vor Ablaufdatum austrinken. Schon hat man eine Aufgabe lange vor der Deadline erledigt.
Einige Kabel wohlgeordnet in eine Tasche legen. Eine Stunde abwarten, die Tasche wieder öffnen. Den entstandenen Kabelsalat betrachten und dabei über die Sinnlosigkeit menschlichen Ordnungsstrebens meditieren.
Auf Bahngleisen sitzen oder liegen. Rechtzeitig aufstehen, bevor der Zug kommt. Diese Übung vermittelt ein Gefühl für das Tempo, in dem die Deadline herannaht, auch wenn vorher lange Zeit gar nichts passiert ist.
Den perfekten Mord planen, dann kurz vor der Ausführung darauf verzichten. Darüber nachdenken, dass Untätigkeit Leben retten kann.
2. ARBEIT
Der innere Zwingli
Vom Arbeitsethos
«Persönlich habe ich überhaupt nichts gegen Arbeit, insbesondere, wenn sie still und unauffällig von jemand anderem erledigt wird. Ich glaube nur nicht daran, dass Arbeit der passende Anwendungszweck für eine ‹Ethik› ist.»
(Barbara Ehrenreich: «Goodbye to the Work Ethic», 1988)
Unser Körper ist unserem Bewusstsein weit voraus; er hat das Energiesparen zur Kunstform erhoben, tut gerade eben das Notwendigste und manchmal nicht einmal das. Der menschliche Körper schafft es, mit ein paar hundert Gramm Schlachtereiabfällen und fermentierten Pflanzenresten jeden Tag einen Doppelzentner (Durchschnittswert der Autoren) Knochen, Fleisch und Ausrüstungsgegenstände durch die Welt zu bewegen. Die meisten Menschen können aus dem Stand weitgehend problemlos einige Wochen fasten und fühlen sich dabei meistens sogar besser als vorher. Andere Lebewesen haben sich deutlich anstrengendere Modelle ausgesucht: Die Spitzmaus muss jeden Tag ihr eigenes Körpergewicht in Würmern und Insekten verzehren, weil ihr Stoffwechsel ein Workaholic ist – man möchte sich nicht vorstellen, wie die Welt aussähe, wenn der menschliche Körper ähnlich eingerichtet wäre. Was in Gesellschaft und Politik erst in letzter Zeit zum Topthema geworden ist, hat sich in den Millionen Jahren der Entwicklung des menschlichen Körpers als wichtigstes Prinzip herausgestellt: Energiesparen ist mehr als eine Tugend, es ist eine Voraussetzung zum Überleben. Und immerhin ist der Mensch der Spitzmaus nach Ansicht vonExperten in einigen Bereichen überlegen. Von der unbemühten Effizienz des Körpers lernen heißt liegen lernen, heißt Energie sparen lernen, und über viele tausend Jahre war den Menschen das auch bewusst.
Bis zum späten Mittelalter arbeitete die Mehrzahl der (freien) Menschen maximal sechs Stunden am Tag. Der Autor Graham Robb vertrat in der «New York Times» vom 25. November 2007 gar die These, dass eine Art Winterschlaf in vielen Regionen Europas bis ins 19. Jahrhundert hinein üblich war, und das nicht nur in winters unwirtlichen Gegenden wie den Alpen oder Russland, sondern auch zum Beispiel unter Winzern in Burgund. Nach der letzten Weinernte verbrannte man das übrig gebliebene organische Material, reparierte ein paar Geräte und legte sich bis zum Frühjahr hin. Robb zititert einen französischen Staatsbeamten, der 1844 die wirtschaftliche Situation dieser Weinbauern untersuchen sollte und überrascht feststellte: «Diese lebhaften Menschen werden
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