Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
fest in den Köpfen der Menschen verankert zu sein, wenn es darum geht, Ziele zu erreichen – auch wenn man auf die entsprechende Arbeit keine Lust hat. Der Grund für diese Unlust wird aber zu selten hinterfragt. Stattdessen glauben 77 Prozent der von Tausch für die Studie Befragten, dass «Selbstdisziplin hilft (…), schwierige Aufgaben durchzuhalten.» Leider hilft Selbstdisziplin ebenso, bescheuerte Aufgaben durchzuhalten: Sie ist nämlich ein Mittel der Überwindung der eigenen Gefühle, der eigenen Intelligenz und damit der Freiheit der Entscheidung. Die Notwendigkeit von Selbstdisziplin ist ein klares Zeichen dafür, dass etwas falsch läuft und das Unterbewusstsein diesen Umstand nur früher begriffen hat. Der fatale, aber verbreitete Irrtum besteht darin, Selbstdisziplin mit Motivation zu verwechseln, also sich selbst zu zwingen, etwas zu wollen; eine absurde Konstruktion.
Ein häufig zwischen Küchenmedizin, Volksweisheit und Erziehungsversuchen gehörtes Argument lautet, dass man «auf seinen Körper hören» solle. Kaum jemand wird etwas dagegen haben, körperliche Signale wie Übelkeit und Unwohlsein ernst zu nehmen. Warum aber wird so gut wie nie davon gesprochen, man solle «auf seine Seele hören»? Vermutlich, weil es arg esoterisch klingt. Aber wenn die Seelesich sträubt, bestimmte Tätigkeiten zu verrichten, kann es sich um den gleichen Widerwillen handeln, der einen davon abhält, die Hand auf die heiße Herdplatte zu legen. Der Akt an sich würde nicht besser dadurch, dass man sich mit Hilfe von selbstdisziplinierenden Maßnahmen dazu zwingt.
Selbstdisziplin ist keine Tugend, sondern zunächst die Negation der eigenen Bedürfnisse. Es lohnt sich fast immer, hier die Frage zu stellen: Warum versuche ich überhaupt, Selbstdisziplin einzusetzen? Selbstdisziplin wird oft dort angewandt, wo man Schwächen hat. Wo die eigenen Stärken liegen, ist von ihr selten die Rede. Die Arbeit an den eigenen Schwachstellen macht nicht nur viel weniger Spaß als der Einsatz der vorhandenen Fähigkeiten, sie ist auch nicht besonders effizient. Mit großer Mühe wird man schwach ausgeprägte Fähigkeiten um ein paar Prozentpunkte steigern können. Konzentriert man sich dagegen auf seine Stärken, kommt man ohne Selbstdisziplin aus und erreicht mehr. Training ist in angenehmen Disziplinen effektiver als in verhassten, weil man motivierter bei der Sache ist. Gegen die Vorlieben anzutrainieren bedeutet, gegen die eigene Persönlichkeit zu arbeiten. Aber alles Training der Welt wird aus einer Zange bestenfalls einen mittelmäßigen Hammer machen.
Wer sein bisheriges Leben auf Selbstdisziplin aufgebaut hat, sollte den Entzug schrittweise vornehmen, denn es können ganze Sinngebäude in sich zusammenfallen, wenn man den Selbstzwang zu schnell entfernt. Trotzdem ist eine Kündigung des verhassten Jobs auch nach fünfundzwanzig Jahren kein Fehler, sondern ein Schritt in die richtige Richtung. Auch jüngere Menschen fühlen sich allzu oft für immer festgelegt, wenn sie etwa eine Ausbildung begonnen haben. Abbruch oder Änderung kommen für sie nicht inFrage, weil damit für sie alle bisherigen Bemühungen vergebens erscheinen würden – eine unglücklich und gefährliche Betrachtungsweise. Denn zum einen sind nur wenige Erfahrungen völlig sinnlos, und zum anderen gilt besonders hier das Sprichwort «Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende».
Ein schmerzhafter Klassiker der falsch eingesetzten Selbstdisziplin ist das Studium, das nicht den eigenen Stärken entsprechend ausgewählt wurde, sondern um Eltern oder ähnlichen Forderungsspezialisten wie den Berufsberatungen des Arbeitsamts zu genügen. Besonders geeignet scheinen Fachrichtungen mit hohem gesellschaftlichem Renommee oder scheinbar guten Karriereaussichten. Ein solches Image vergrößert das Risiko, einem gefährlichen Trugschluss zu erliegen und sich per Wahl des Studienfachs oder der Ausbildung zu disziplinieren.
Oft sollen die Teufel Lustlosigkeit und Unkenntnis der eigenen Ziele mit Hilfe des Beelzebub Selbstdisziplin ausgetrieben werden. Auch mit einer Reihe natürlicher und chemischer Hilfsmittel lassen sich täglicher Lernschmerz oder bohrende Langeweile auf interessante Art und Weise lindern. Die Frage ist aber, weshalb man sich durch die Vorlesungen, Seminare und Repetitorien quält, anstatt darüber nachzudenken, warum einem die Hausaufgabe über die Ausnahmeregelung für die Ausnahmegenehmigung für einen
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