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Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Titel: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Kathrin / Lobo Passig
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Dinge zustande gebracht, indem ich mich vor dieser Aufgabe gedrückt habe.» Auch der Neuroprothetikforscher und Comiczeichner Jorge Cham erklärt: «Falls ich irgendwem in Erinnerung bleiben sollte, dann verdanke ich das nicht meinerForschung oder meinen Veröffentlichungen, sondern den Beschäftigungen, mit denen ich meine Zeit verbracht habe, anstatt zu forschen und zu veröffentlichen.» Nebenberuflich hält Cham an amerikanischen Universitäten Vorträge über die Kraft der Prokrastination.
    In manchen Fällen ist diese Ersatztätigkeit weder angenehmer noch interessanter als die Pflicht, der man aus dem Weg geht. Dass sie nicht die «eigentliche Arbeit» ist, genügt bereits, um sie in den Augen des Prokrastinierers attraktiv zu machen. Dieser Umstand birgt eine nicht unwesentliche Gefahr, denn ungeübte Aufschieber neigen dazu, sich mit schlecht gewählten Beschäftigungen vor der Arbeit zu drücken. Paul Graham erläutert im bereits zitierten Essay «Good and Bad Procrastination»: «Je nachdem, was man tut, anstatt an einer bestimmten Aufgabe zu arbeiten, gibt es drei Varianten der Prokrastination: Man kann a) nichts tun, b) etwas weniger Wichtiges tun oder c) etwas Wichtigeres tun. Die dritte Sorte, behaupte ich, ist gute Prokrastination.» Wie wichtig eine bestimmte Tätigkeit eigentlich war, lässt sich allerdings meistens erst im Rückblick feststellen. Samuel Pepys war ein fleißiger britischer Staatssekretär des 17.   Jahrhunderts, der heute vergessen wäre, hätte er nicht ein privates Tagebuch geführt, in dem er von Auseinandersetzungen mit seiner Frau, aber auch von der Pest und dem großen Brand Londons berichtet. Und die Flickr-Gründer entwickelten die Foto-Sharing-Plattform, die sie später reich machen sollte, nebenbei und zum Spaß, während sie ein heute vergessenes Spiel für ihre «eigentliche Arbeit» hielten. Wir empfehlen daher als Indikator eher die Begeisterung, mit der man sich einer Aufgabe widmet. Das Sortieren von Belegen, das Aufräumen des Kellers und das Bügeln und Falten sämtlicher Socken verdanken ihre Beliebtheit als Ausweichtätigkeiten jedenfalls weder ihrer Wichtigkeit noch ihrer Vergnüglichkeit, sondern alleinihrer gewissensberuhigenden Wirkung. Sie sollten nur von blutigen Anfängern im ersten Prokrastinationssemester ausgeübt werden.
    Prokrastinationsprofis dagegen gelingen oft herausragende Leistungen. Linus Torvalds brauchte acht Jahre, um sein Informatikstudium abzuschließen, weil er währenddessen das Betriebssystem Linux entwickelte. Isaac Newton vernachlässigte die Arbeit auf der Farm seiner Mutter, weil er lieber Bücher las. Robert Schumann spielte Klavier, anstatt sich seinem Jurastudium zu widmen. Und Leonardo da Vincis Arbeit als Hofmaler blieb liegen, weil Geometrie ihn mehr interessierte. Die Brüder Joel und Ethan Coen schrieben das Drehbuch zu «Barton Fink», weil sie mit der Arbeit am Drehbuch zu «Miller’s Crossing» nicht vorankamen:
    Ethan: «Es ging nur ganz langsam voran. Wir haben ewig dafür gebraucht. Ich glaube, weil der Plot so verwickelt war, hatten wir es irgendwann einfach satt. Wir haben dann beschlossen, Urlaub vom Drehbuch zu machen, indem wir was anderes schreiben, und das war dann ‹Barton Fink›.»
    Joel: «Wir waren etwa halb fertig, und   … es war keine richtige Schreiblähmung, aber manchmal kommt man einfach beim Plot oder an irgendeiner Stelle nicht mehr weiter, und es geht einfacher, wenn man über was anderes nachdenkt. So ist ‹Barton Fink› entstanden. Das ging dann ganz schnell, wir haben ungefähr drei Wochen für das Drehbuch gebraucht. Ich weiß auch nicht, was das heißt.»
    Ironischerweise handelt «Barton Fink» von einem Drehbuchautor mit Schreibhemmung, ein klassisches Beispiel für ein konstruktiv gewendetes Problem. (In dieselbe Kategoriegehört das vorliegende Buch.) Aber natürlich müssen bei der Prokrastination keine Drehbücher, Betriebssysteme oder andere Wunderwerke entstehen. Auch ganz alltägliche Tätigkeiten, die sich in ihrer Erfreulichkeit nicht spürbar unterscheiden, lassen sich mit etwas Glück und Übung zu einem Prokrastinationszirkel zusammenschließen. Man erledigt dann jede Aufgabe, um sich einer anderen nicht widmen zu müssen, bis man am Ende versehentlich die ursprünglich vermiedene Tätigkeit hinter sich gebracht hat. Solange die gewählten Übersprungshandlungen ohne Hadern, Unglück und Sockenbügeln vonstattengehen, ist alles in Ordnung. Und eine nicht zu große Prise

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