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Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Titel: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Kathrin / Lobo Passig
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Blinddarm, Rachenmandel und Wespe zusammen, denn es funktioniert als sinnvoller Reizfilter, als Schutz vor unnötiger Arbeit, es hilft, spontan Chancen wahrzunehmen und in komplexen oder überfordernden Situationen die benötigte Distanz zu schaffen. Das Aufschieben hat eine psychische Pufferfunktion, die den steilen Berg Aufgaben, der sich vor einem auftürmt, vielleicht nicht bezwingbar, aber immerhin umgehbar erscheinen lässt. Menschen, die trotz ihrer Aufschiebegewohnheiten ab und zu Dinge geregelt bekommen, haben für sich einen Weg gefunden, die Mühsal angemessen dosiert zu sich zu nehmen. Davon kann man lernen, denn die meisten arbeitenden Menschen leiden von Zeit zu Zeit oder auch ständig an Überlastung. Vieles deutet außerdem darauf hin, dass Prokrastination ein schwierig zu kontrollierender, aber wichtiger Bestandteil kreativer Prozesse ist. Das kecke Tierchen Inspiration kommt nur seltenaus dem Bau, wenn man auf den Boden stampft und darauf beharrt. Man legt besser Nüsschen hin, nimmt eine spannungslösende Position ein und wartet gezielt ab, möglichst ohne sich selbst oder die Inspiration unter Druck zu setzen. (Siehe hierzu das Kapitel «Heute jedoch nicht».)
    Ein grundsätzliches Argument zur Verteidigung der Prokrastination hat Paul Graham in seinem Essay «Good and Bad Procrastination» dargelegt: «Die meisten Veröffentlichungen zum Thema Prokrastination beschäftigen sich damit, wie sie zu heilen sei. Aber das ist strenggenommen unmöglich. Die Menge der möglichen Tätigkeiten ist unendlich. Ganz egal, woran man arbeitet: Alles andere bleibt ungetan. Die Frage ist daher nicht, wie man Prokrastination vermeidet, sondern wie man richtig prokrastiniert.»
    Der erste Schritt zum professionelleren Prokrastinieren ist das Lockerlassen. Die Journalistin Harriet Wolff berichtet: «Ich bin mittlerweile netter zu mir selber. Früher konnte ich mich richtig gegen mich stellen und hatte einen solchen Hass auf mich selber. Man hadert dann so mit sich: ‹Was ist das für eine beschissene Arbeitseinstellung!› Und dann geht erst recht gar nichts mehr. Das mache ich nicht mehr, den Selbstterror muss man echt unterbinden. Seitdem geht’s ein bisschen besser.» Durch Selbstvorwürfe sorgt man nicht nur dafür, dass das Aufschieben noch viel weniger Spaß macht als die so vermiedene Arbeit. Es wird durch die so erzeugte schlechte Laune auch noch schwerer, jemals mit der Arbeit anzufangen. (Zu den Ursachen siehe Kapitel «Nimm 2!».)
    Das Hadern ist aber schon deshalb unangebracht, weil Umgehen und Aufschieben nicht – wie Laien gern annehmen – mit Faulheit zu verwechseln ist. Unter den Beschäftigungen, denen man nachgehen kann, während man um die eigentliche Arbeit herumschleicht, belegt untätiges Herumliegen keineswegs einen der vorderen Plätze. Im Gegenteil:Je dringender man arbeiten müsste, desto stärker wird die Motivation, stattdessen etwas ganz anderes zu tun. Und «Motivation» ist hier das entscheidende Stichwort, denn dieses ganz Andere tut sich im Gegensatz zur geplanten Arbeit häufig wie von allein. Der Blogger James Bach hat dafür den Begriff «Sprungbrett-Prokrastination» geprägt. Wie man bei manchen Kampfsportarten die Energie des Gegners nutzt, um ihn auf die Matte zu werfen, so münzen geübte Aufschieber den Widerwillen gegen eine Tätigkeit in Produktivität auf anderen Gebieten um.
    Der Philosophieprofessor John Perry beschreibt die Technik auf seiner Website structuredprocrastination.com: «Ich wollte diesen Essay schon seit Monaten schreiben. Warum fange ich heute endlich damit an? Weil ich endlich die Zeit gefunden habe? Nein. Ich müsste Hausarbeiten benoten, Lehrbücher bestellen, einen Antrag begutachten, Dissertationsentwürfe lesen. Ich arbeite an diesem Essay, um dem allen aus dem Weg zu gehen.» Perry rät dazu, sich Aufgaben vorzunehmen, die ungemein dringend und wichtig erscheinen, ohne es tatsächlich zu sein. Während man ihnen ausweicht, erledigt sich andere, wichtigere Arbeit wie von allein. «Zum Glück herrscht im Leben kein Mangel an solchen Aufgaben. An Universitäten fällt die überwiegende Mehrheit aller Arbeiten in diese Kategorie, und ich bin mir sicher, dass es in den meisten großen Institutionen nicht anders ist. Nehmen wir zum Beispiel den Eintrag, der gerade ganz oben auf meiner Liste steht. Ich muss einen Essay für einen Sammelband über Sprachphilosophie zu Ende schreiben. Abgabetermin war vor elf Monaten. Ich habe eine Unzahl wichtiger

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