Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
dann, wenn man sie freiwillig und zu den eigenen Bedingungen ausübt. So erklärt sich auch die Karriere einiger Tätigkeiten wie Stricken, Schreinern, Töpfern, Angeln und Gartenarbeit. Sie waren einst ganz normale Arbeit, haben diesen Schmuddelkindstatus aber mittlerweile abgelegt. In Deutschland ist kaum mehr jemand dazu gezwungen, seine Kleidung, seine Möbel oder seine Nahrung selbst herzustellen. Das ebnet den Weg für eine Umdeutung dieser Tätigkeiten zu wohltuenden Freizeit-Fingerübungen. Am eigentlichen Vorgang des Angelns oder Unkrautjätens hat sich dadurch aber nichts geändert.
Alles spricht also dafür, unschöner Arbeit nicht nur kurzfristig durch Prokrastination aus dem Weg zu gehen, sondernsie strategisch so weit wie möglich zu verbannen. Die Entdeckung des ungarischen Glücksforschers Mihály Csikszentmihályi kann man sich nicht oft genug als Leitstern auf dem Weg zu einer schönen Arbeit vor Augen halten: Der Mensch ist erwiesenermaßen am glücklichsten, wenn er arbeitet, und zwar dann, wenn es sich um eine schaffbare, aber fordernde und vor allem selbstgewählte Aufgabe handelt. Nur dann gelangt man in den Flow-Zustand, der so heißt, weil er einen bei der Arbeit Zeit und Raum vergessen lässt; der Flow-Zustand ist so etwas wie der Heilige Gral der Motivation und damit der Arbeit. In diesem Zustand der produktiven Glückseligkeit schüttet der Körper Hormone aus, die auch beim Verliebtsein und beim Sex in die Blutbahn gepumpt werden. Kurz, eine Arbeit, die einen in diesen Zustand versetzt, ist eine, mit der man nicht nur kurz-, sondern auch langfristig glücklich wird. Selbst wenn es sich um etwas handelt, was bisher nicht alle Arbeit nennen.
«Ich habe Ende 1997 den sogenannten großen BGB gemacht, den letzten Schein, den ich brauchte, um mich zum Examen anmelden zu können. Das juristische Staatsexamen erfordert im Schnitt eine Vorbereitung von einem Jahr. Mein Plan war immer, an einem Montag anzufangen. Aber montags habe ich immer den Spiegel gelesen. Und an einem Dienstag fängt man ja keinen Marathon an. Ich mochte zwar Aspekte meines Studiums ganz gern, aber wenn man zwanzig Juristen nimmt und sie in ein Repetitorium steckt, dann weiß man, dass Sartre recht hatte, als er sagte: Die Hölle, das sind die anderen. Die Kultur, die sich um das Juristische herum entwickelt hat, ist mir immer fremd geblieben. Beige Dieseljeans, Halbschuhe mit Bommeln bei den Männern, Perlenketten bei den Frauen. All das ist vermutlich an jederUni so, dass man die Juristen erkennt. Mein ganzes Studium durch musste ich mir anhören: ‹Du siehst gar nicht aus wie ein Jurist.› Die Leute hatten recht. Nun wäre diese Erkenntnis ja ein Grund gewesen, das Studium zu schmeißen und etwas anderes zu machen. Ich hatte aber Gefallen daran gefunden, nichts zu tun. An guten Tagen schaffte ich es, mein Leben so zu organisieren, dass ich mich nicht bewegen musste, an sehr guten bekam ich jemanden dazu, mich zu versorgen. Das waren dann natürlich meistens Mädchen, Prokrastinieren macht mit Mädchen zusammen wesentlich mehr Spaß als alleine. Noch besser als nur Spaß: Eine Freundin suchen, die streitlustig ist. Dann ist immer etwas los, und die Dinge schieben sich von ganz alleine auf.
Da man ja vielleicht nichts tun kann, aber nicht nichts denken, glich mein Leben mit der Zeit einem Trainingscamp für ‹Wer wird Millionär›. Ich häufte Wissen an, Wissen, das kein Mensch braucht. Nichts von dem, was ich tat, konnte für den Lebenslauf verwendet werden. Als ich dann zufällig zum Bloggen kam, zeigte sich, dass der ganze Quatsch, den ich mir angefuttert hatte, wunderbar Artikel um Artikel hervorbrachte. Artikel schiebe ich übrigens nie auf, als Autor bin ich ein Streber. Was die Vermutung nahelegt, dass Prokrastination eine Verweigerung von Dingen ist, die man wirklich nicht machen sollte.»
(Malte Welding)
Das Später-Prinzip
Wie man professionell prokrastiniert
«Jeder Mensch kann beliebige Mengen Arbeit bewältigen, solange es nicht die Arbeit ist, die er eigentlich machen sollte.»
(Robert Benchley: «How to Get Things Done», 1949)
Nur selten lässt die Evolution ein wirklich sinnloses Ding entstehen. Unnütze Körperteile wie der Blinddarm und die Mandeln sind in den letzten Jahren rehabilitiert worden (sie gelten seitdem als «irgendwie gut fürs Immunsystem»), und selbst Wespen dienen immerhin anderen Tieren als Nahrung. Das menschliche Aufschiebeverhalten ist mindestens so nützlich wie
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