Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
streichen kann. Einfach nur, weil es geht!
Nichthandeln bedeutet für unsere Zwecke, nicht sichtbar an dem Projekt zu arbeiten, an dem man arbeiten will oder sollte. Trotzdem können im Hintergrund Prozesse ablaufen, die die Arbeit voranbringen. «Im Laufe der Jahre»,erläutert Lisa Belkin in der «New York Times», «bin ich zu der Einsicht gelangt, dass in den Stunden, in denen ich nicht schreibe, die eigentliche Arbeit getan wird. Wenn sich ein Absatz in meinem Kopf hin und her wendet, auch wenn meine Finger gerade bei Amazon Bücher bestellen. Was nach vertaner Zeit aussieht, ist eigentlich die Zeit, in der Ideen Form annehmen.» Man kann diesen Vorgang zwar befördern – zum Beispiel, indem man sich vor dem Nichtstun mit Informationen vollstopft, auf denen der Geist dann herumkauen kann –, verhindern aber lässt er sich nicht, deshalb subsumieren wir großzügig auch solche Schein-Untätigkeit unter dem Begriff des Nichtstuns.
Viele Aufgaben sind objektiv sinnlos, und man spart viel Zeit und Mühe, indem man sie einfach unterlässt. Alte Ratgeber zur Haushalts- und Lebensführung enthalten die mühsamsten Pflichten, über die der heutige Leser lacht. «Am Bücherregal lehnend, in Kopftuch und Schürze, durchblätterte ich den etwas stockig riechenden Ganzlederband mit Goldschnitt. Aha, da war es:
Zimmerreinigen
. Mit fester Hand hatte Mama die Reihenfolge eingetragen, die man ihr beibrachte. Marmorfiguren zuhängen oder hinaustragen. Portieren ausbürsten. Fein, beides hatte ich nicht. Unter drittens stand: Bohnern lassen. Lassen? Schön, da ließ ich es eben», schreibt Isabella Nadolny in ihrer Autobiographie «Ein Baum wächst übers Dach». Später wird man auf die Anfänge des 21. Jahrhunderts zurückblicken und sich fragen, warum um Himmels willen andauernd staubgesaugt und jede Woche das Auto gewaschen werden musste. «Na gut, es gab damals noch mehr Infektionskrankheiten – aber dachten die Leute wirklich, sie könnten sich an ihrem Auto anstecken?»
Der Schweizer Versicherungsfachmann Christoph Virchow hat in fünfundzwanzig Jahren Berufstätigkeit für Großfirmen festgestellt: «In dem Stapel Papier, den du vielleichteinmal im halben Jahr durcharbeitest, finden sich unglaublich viele Sachen, die man ohne Konsequenzen sofort wegschmeißen kann. Im ersten Moment erkennt man den Unterschied ja nicht. Ein halbes Jahr später weißt du aber: Das hat sich erledigt, Rundablage. Man darf überhaupt nichts beim ersten Mal machen. Alles, was wirklich wichtig ist, meldet sich von alleine wieder.» Das gilt nicht nur für Aufgaben, die auf den Schreibtischen Festangestellter landen, sondern auch für selbst ausgedachte Projekte. Ein gesunder Projektdarwinismus sorgt dafür, dass niemand sämtliche Ideen umsetzen muss, die ihm so durch den Kopf schießen. Nur diejenigen, die sich hartnäckig immer wieder melden, verdienen, dass man Zeit und Energie in ihre Umsetzung investiert.
Überraschend oft passiert gar nichts Grässliches, wenn man seine Aufgaben schlicht ignoriert. Und manches wird auch einfach von alleine wieder gut, wie Alexander Wolf berichtet: «Vor einigen Jahren hatte mein Auto leichte Ausfallerscheinungen, was das Entriegeln der Fahrertür betrifft. Ich lebte einige Zeit lieber umständlich (rumlaufen, Beifahrertür aufschließen, Fahrertür entriegeln, rumlaufen, einsteigen), als einfach mal zur Werkstatt zu fahren und die Jungs das klären zu lassen. Und, ich fasste es selber kaum, eines Tages ging das Schloss wieder. Einfach so. Übrigens scheint das Aussitzen von Problemen bei italienischen Autos überdurchschnittlich oft von Erfolg gekrönt zu sein.»
Selbst vermeintlich zentrale Lebensaufgaben können sich im Nachhinein als gar nicht mal so unaufschiebbar erweisen. Der Mediziner Axel Schneider hat viele Jahre lang die Fertigstellung seiner Dissertation verschoben und ist heute Oberarzt: «Die Doktorarbeit habe ich bis heute nicht abgegeben. Wirkliche Folgen hatte das nicht. Ich bin dementsprechend natürlich nicht habilitierter Chefarzt an der Uni, was aberwegen zu wenig Frühaufstehen während des Studiums und zu viel Urlaub von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wäre, weil ich schon zu Beginn meines Arbeitslebens zu alt war. Zudem bekommen die jetzigen neuen Chefärzte an der Uni weniger Geld als die leitenden Oberärzte in den St.-Elsewhere-Krankenhäusern wie hier, sodass es finanziell für mich ohne Folgen geblieben ist. Und seit ich Oberarzt bin, steht halt immer
Weitere Kostenlose Bücher