Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
nicht, meine innere Gewerkschaft hat mir eine Dreitagewoche verordnet» ist eine gute Begründung für solche Ablehnungen. Es kann allerdings eine Weile dauern, bis sich das mentale Bild der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit den neuen Verhältnissen angepasst hat.
Wer es bisher trotz einer Siebentagewoche voll langerTage nicht geschafft hat, seine wuchernden To-do-Listen, Pläne und E-Mail -Stapel in den Griff zu bekommen, hat nicht viel zu verlieren. Warum nicht einfach mal einen Monat lang ausprobieren, wozu eine strenge Limitierung der Arbeitszeit führt? Viel schlimmer kann es dadurch auch nicht werden.
«Ohne Kind und die damit verbundenen Einschränkungen hätte ich bis heute kein Examen gemacht, da bin ich sicher. Damals war herrschende Lehre unter den Jurastudenten, dass man ein volles Jahr ausschließlich der Examensvorbereitung zu widmen hätte. Mir war klar, dass ich bei einer solchen Zeitplanung nach zehn Monaten noch nichts getan haben würde. Ich gab mir fünf Monate, in denen ich in der Woche etwa 15 kinderfreie Stunden zur Verfügung hatte, die ich dann höchstens noch zu einem Drittel mit Solitaire-Spielen vertrödelte. Die restliche Zeit verbrachte ich tatsächlich mit Lernen. Internet hatte ich 1994 noch nicht. Die Examensnote war ein dem Aufwand angemessenes Befriedigend.»
(Angela Leinen)
Halbe Kraft voraus!
Energiesparendes Arbeiten
«Wer es schafft, irgendetwas halbherzig zu erledigen, ist ein Einäugiger unter Blinden.»
(Kurt Vonnegut)
1953, an einer Universität im norddeutschen Raum, im Fachbereich Theologie. Es gibt nicht viele Männer, die unbeschadet aus dem Krieg zurückgekommen sind und sich dem Studium der Religion widmen wollen. Einige sind es aber doch, darunter Bernd Vogel, der sich bereits am Ende des Krieges durch präzise Ungenauigkeit selbst das Leben rettete. Als Mitte 1944 seine Einheit nach einem Kurzurlaub wieder an die Ostfront geschickt wurde, stieg er aus Versehen in die falsche S-Bahn und verpasste den Zug, mit dem seine Kameraden Richtung Osten fuhren – keiner von ihnen hat überlebt. Jetzt bereitet Vogel sich auf die Abschlussklausur vor. Sein Professor gilt als unerbittlicher Prüfer, der Bibelfestigkeit als das höchste aller Bildungsziele betrachtet. Nun war der Sommer 1953 mit über 2000 Sonnenstunden in Deutschland ein eher schöner und letztlich wohl auch der Prüfungstermin im späten August äußerst ungünstig gewählt. Vogel besinnt sich der präzisen Ungenauigkeit als erprobtes Mittel und lernt für die Prüfung exakt nichts – bis auf zwei dreizeilige Zitate aus entlegeneren Stellen der Bibelbegleitliteratur. Er führt sie bei beinahe jedem Besuch am Waldsee auf einem Zettelchen mit sich und kann sie schon bald auswendig, denn es mangelt ihm nicht an Tagen am See. Die Zitate sind geschickt gewählt: Sie sind eher allgemeiner Natur und beinhaltenviele ansprechende Schlagworte. Seine Kommilitonen opfern den Sommer auf dem Altar der Bildung, nur um wenige Monate später mit dem grauenhaften Winter 1954 belohnt zu werden. Die Bekanntgabe des Klausurthemas trifft sie ins Mark; statt eine Frage aus dem angekündigten Stoffgebiet zu beantworten, sollen die Studenten einen Text von Martin Luther aus religionsethischer Sicht interpretieren, ganz ohne weiteres Material. Kein Problem für Vogel, der seinen Aufsatz mit den Worten beginnt: «Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit meiner Vermutung richtigliege – aber ich glaube, dass dieses Zitat gut beschreibt, worum es geht:» Danach schreibt er das etwas besser passende der beiden Zitate hin und konstruiert einen Zusammenhang mit einer Stelle im Luthertext. Dann füllt er Seite um Seite mit den Anekdoten und Standardweisheiten, die der Professor in seinen Vorlesungen so gern verwendet, und schließt – wie er selbst zugibt, beinahe übermütig – mit dem zweiten Zitat, das noch bedeutend entlegener und sperriger ist, aber immerhin irgendwie auf das Handeln der Menschen Bezug nimmt. Oder so gelesen werden könnte. Er bekommt als einziger Student die Bestnote.
Bernd Vogel, ein ehemaliger Kommilitone von Sascha Lobos Großonkel, hat seine Kirchenkarriere auf der präzisen Ungenauigkeit gegründet, die zum Repertoire des LOBOs gehören sollte. Die richtige Mischung aus (scheinbarer) Präzision und faktenmildernder Ungenauigkeit hilft, den Erwartungen anderer Menschen leichter gerecht zu werden und so Arbeit, Mühe und Energie zu sparen, wie es die uns von der Evolution zugewiesene Aufgabe ist. Ein
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