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Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Titel: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Kathrin / Lobo Passig
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sind; man wird also ziemlich sicher die meisten Zwischendeadlines verfehlen. Aber das Scheitern ist nur relativ: Dass das Ziel nicht erreicht wird, heißt nicht, dass keine Fortschritte zu verzeichnen wären. Die von Roger Buehler und Kollegen untersuchten Studenten blieben zwar hinter ihren eigenen Vorhersagen zurück («Eine Woche vor der Deadline bin ich fertig»), schafften es aber häufig noch, die Deadline – dann eben ohne Spielraum – zu erreichen.
    An dieser Stelle sollte man sich zum Erfolg beglückwünschen, anstatt sich Vorwürfe zu machen, weil man schon wieder so schlecht geplant hat. Schließlich ist die Unfähigkeit zur realistischen Planung ein weit über LOB O-Kreise hinaus verbreitetes Phänomen, das schon seit den siebziger Jahren unter dem Namen «Planning Fallacy» . («Planungstrugschluss») erforscht wird. Die Planning Fallacy besagt, dass die meisten Menschen beim Planen von Projekten und beim Fassen von Vorsätzen dieselben drei Fehler machen: Erstens unterschätzen sie die benötigte Zeit. Zweitens nehmen sie an, in Zukunft stünde mehr Zeit zur Verfügung als in der Gegenwart. Und drittens gehen sie davon aus, in dieser goldenen Zukunft selbst bessere Menschen geworden zu sein, die weniger prokrastinieren. Kürzer drückt es der Künstliche-Intelligenz-Forscher Eliezer Yudkowsky aus: «Planning Fallacy bedeutet: Die Leute glauben, sie könnten planen, ha ha.»
    Gegen dieses Problem ist offenbar kein Kraut gewachsen. Man kann Versuchsteilnehmer bitten, sich an frühere, verspätet abgegebene Projekte zu erinnern, das Projekt in Untereinheiteneinzuteilen, sich ein «Worst-Case-Szenario» auszumalen, man kann ihnen Geld oder sonstige Anreize für korrekte Vorhersagen bieten: Es hilft alles nichts. Auch wer den eigenen Zeitaufwand von jemand anderem überschlagen lässt, kommt damit der Wahrheit nicht viel näher. Die Befragten vertun sich hierbei aber wenigstens konsequent in die Gegenrichtung und
überschätzen
die von anderen benötigte Zeit. Da übermäßig pessimistische Schätzungen in der Regel weniger Schaden anrichten als übermäßig optimistische, lohnt es sich vielleicht, auf seine Mitmenschen zu hören. Oder aber man überlegt sich selbst einen realistisch scheinenden Fertigstellungstermin, befragt dann jemand anderen und wählt schließlich den Mittelwert der beiden Vermutungen.
    Besonders grausam erscheint im Wissen um die Allgegenwart der «Planning Fallacy» die Beschreibung einer therapeutischen Maßnahme aus dem Fachbuch «Procrastination and Task Avoidance»: Der Therapeut lässt den zu behandelnden Prokrastinierer angeben, wie lange dieser für eine bestimmte Aufgabe zu brauchen glaubt, «und wenn sich diese Angabe später als falsch erweist (da es normalerweise viel länger dauert, Aufgaben abzuschließen, als diese Menschen annehmen), nutzt der Therapeut diese Information, um andere irrationale Annahmen des Klienten in Frage zu stellen». Was die Autoren – vermutlich aufgrund ihrer Berufserfahrung als Studententherapeuten – für ein spezielles Problem «dieser Menschen» halten, ist aber ein Phänomen, das man überall beobachten kann, auch dort, wo die Folgen viel schwerwiegender sind als bei verspätet abgegebenen Seminararbeiten. Das amerikanische National Institute of Standards and Technology stellte 2002 fest, dass 75   Prozent aller beendeten Softwareprojekte mit Verspätung auf den Markt kommen und/​oder höhere Kosten verursachen als geplant. Auch andere Branchen bieten kein rühmliches Bild: DasMauterfassungssystem «Toll Collect» wurde mit 1 6-monatiger Verspätung in Betrieb genommen, wodurch dem Staat 3,5   Milliarden Euro Mauteinnahmen entgingen. Der neue Berliner Hauptbahnhof sollte zunächst im Jahr 2000 teileröffnet werden, später war von einem Probebetrieb ab 2004 die Rede, und wenn nicht die Fußball-WM 2006 seine Fertigstellung absolut unumgänglich gemacht hätte, wäre er vermutlich heute noch im Bau. Ob psychotherapeutische Maßnahmen wohl geholfen hätten, alle Beteiligten von ihren «irrationalen Annahmen» abzubringen?
    Halten wir also einfach fest, dass Schätzungen, wann ein bestimmtes Projekt abgeschlossen sein wird, auch dann noch zu optimistisch sind, wenn man den eigenen Optimismus bereits einkalkuliert. Douglas Hofstadter hat diesen Sachverhalt in «Gödel, Escher, Bach» auf den Namen «Hofstadters Gesetz» getauft: «Es dauert immer länger als erwartet – auch wenn man Hofstadters Gesetz berücksichtigt.» Trotzdem können

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