Dinner for One auf der Titanic
waren im Spiel, Verrückte, Millionäre und andere äußerst zwielichtige Gestalten. Alle hatten sich ausgerechnet auf der Titanic versammelt. Durfte er da Miss Sophie seine Fürsorge verweigern? Eigentlich war sie doch ganz passabel, und unter anderen Umständen wäre James sicher nicht abgeneigt gewesen, ihr den Hof zu machen. Ihre Zickigkeit hätte er ihr schon ausgetrieben. Auch ihre, er musste es nennen, wie es nun einmal war, ihre deutlich zu aufgeschlossene Art gegenüber Männern.
Miss Sophie hatte sich in das türkische Bad zurückgezogen, das James bei einem seiner ersten Spaziergänge auf dem Schiff besichtigt hatte. Es war eingerichtet wie bei Sultans zu Hause.
James hängte die Blusen auf die Kleiderbügel.
Seltsam aufgetakelt war sie aus der Kabine gerauscht. Sie erwartete nicht allen Ernstes, dass im türkischen Bad ein Kalif auf sie wartete? Miss Sophie als Haremsdame, der Mann konnte einem leidtun.
Nirgendwo konnte James ein Bügeleisen entdecken, und so schlenderte er über das Schiff zur Kabine des Chefstewards, um sich dort ein Gerät zu leihen.
Der Palmengarten auf dem hinteren Deck war um diese Vormittagszeit gut besucht. Im Restaurant »Ritz« bereiteten die Kellner das Mittagessen vor. Die mit Goldbuchstaben versehenen Karten standen bereits auf den Tischen.
Als James durch eine gläserne Tür in den Gesellschaftsraum der ersten Klasse blickte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Da saßen tatsächlich Miss Sophie und dieser Fürst der Finsternis. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, legte der Mann einen ganzen Wald aus Süßholz flach. Von wegen türkisches Bad.
James öffnete vorsichtig die Tür. Miss Sophies Stimme bebte.
»Liebe ist eine Art von Kriegszustand, bemerkte schon Ovid.«
Der Anarchist schüttelte den Kopf.
»Sie tun der Liebe unrecht. Ist sie nicht die wunderbarste Himmelsmacht, die uns Menschen in ihren Bann ziehen kann, wie Dr. Breastsucker sagt?«
»Aber lieber Andrej.«
Aha, sie duzten sich also schon. Dieser Anarchist war wie ausgewechselt. Überhaupt nicht wiederzuerkennen. Ob Revolutionär oder nicht, irgendwann suchte sich jeder Deckel den passenden Topf, jedes Brötchen den warmen Backofen.
Wer war imstande, diese perverse Oberschicht-Inzucht in ihre Schranken zu weisen? Dabei hatte er eben noch gedacht ...Egal. Selbst die Stimme dieses Bomben-Bastlers schmolz dahin, wie ... wie ... ekelhaft.»
Ich fürchte, ich muss dieser Idylle ein Ende setzen«, sagte Miss Sophie.
Fürst Balgakov zog sie zu sich heran. Sie wehrte ihn halbherzig ab und stöhnte auf. Die Gute zeigte alle Verhaltensweisen einer liebestollen Stute.
»Sie wollen, dass wir die Lippen aufeinander ... über Kreuz ...?«
»Ein Kuss ist ein Siegel der ...«
»Sie meinen sich berührende Nasen? Und dann verharren wir so, als hätten wir einen Krampf?«
»Sophie, verletze nicht mein Herz. Ich lege dir mein Leben zu Füßen, meine Zukunft ...«
»Worte, mein Liebster.
«Natürlich waren das Worte! James wäre am liebsten hineingestürmt, um diesen russischen Lümmel mit seinen Bombenkabeln zu erwürgen. Miss Sophie hatte ja keine Ahnung, in welcher Gefahr sie sich befand. Der trug diese Höllenmaschine tatsächlich in seiner Tasche! Eine Erektion konnte eine Katastrophe auslösen. Blaues Kabel auf weißes Kabel ...
Andrej Balgakov schilderte in leuchtenden Farben das Leben auf den Ländereien der Familie. Er beschwor die Nächte und den Sonnenaufgang in der Taiga, den Duft der halbwilden Mongolenpferde, die prasselnden Feuer. Noch in dieser Stunde wollte er ihr ein Verlobungsgeschenk überreichen. James knirschte mit den Zähnen.
»Jetzt?«, fragte Miss Sophie.
»Es dient eigentlich der Unterstützung unserer revolutionären Bewegung, aber nun haben sich die Umstände geändert.«
»Haben sie?«
»O ja. Sophie, du bist erschienen, hier auf dieser Erde, und alles alles ist anders.«
Dieser entbrannte Fürst war nicht zu halten. Arm in Arm schlenderten sie über das Promenadendeck. Andrej Balgakov malte gestikulierend ihre gemeinsame Zukunft in die Luft.
James folgte in sicherem Abstand. Kamen ihm andere Passagiere oder Stewards entgegen, wieselte er geschäftig über das Schiffsparkett, als hätte er gerade einen wichtigen Auftrag seiner Herrschaft zu erfüllen.
Dieser russische Csardas-Prinz, dieser Steppen-Gigolo lockte sie in den Frachtraum! Was der Fahrtwind James zutrug, war ganz unglaublich. Täuschung ausgeschlossen. Als Kind hatte man ihn wegen seiner großen Ohren
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