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Dinner for One auf der Titanic

Dinner for One auf der Titanic

Titel: Dinner for One auf der Titanic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koglin
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Kleidungsstücke. Neben einer äußerstausgefallenen Garderobe, aus der besonders farbenfrohe Westen hervorstachen, führte dieser Smooth Gentle zahlreiche Bücher mit sich.
    Auch wenn diese Kabine nicht ganz so geräumig war, wie manch andere in der ersten Klasse, zeichnete sie sich durch ihre geschmackvolle Einrichtung aus. Ein weißer Rattan-Sessel, rote Bezüge über der gut gefederten Couch im Stil des Louis XVI, messingverziertes Bettgestell.
    Die samtene Wandbespannung zeigte eine ländliche Szene aus der Toskana: Bauer und Bäuerin unter dem Olivenbaum. Mit Weinflasche und zwei Gläsern. Auf dem Toilettentisch mit dem Spiegel befanden sich zahlreiche Cremes, Parfüms und Bürsten. Der Mann beschäftigte sich ausgiebig mit seinem Körper.
    Finch-Meyers untersuchte die Bürsten. Ein besonders langes Haar, das von Fürst Andrej Balgakov hätte stammen können, konnte er nicht entdecken. Dennoch, hier roch alles nach einem versteckten Anarchisten.
    Der flauschige Teppich dämpfte seine Schritte. Finch-Meyers durchsuchte die Kleidung. Auch hier keine Spur, die auf eine Verbindung zwischen Smooth Gentle und Balgakov hindeutete. Kein zusätzlicher gebrauchter Pyjama, keine zweite Zahnbürste.
    Wenn der Russe sich hier tatsächlich aufgehalten hatte, dann mussten die Männer sehr umsichtig zu Werke gegangen sein. Der samtene Morgenmantel hing ordentlich an der Garderobe. Daneben das Tweed-Jackett mit dem ausgefallenen Muster. Unter den Papieren auf dem Schreibtisch fand er einen gerade begonnenen Brief.
    »Ich habe sie so satt, diese blonden Jünglinge«, stand da. Und dann wurde die »gemeinsame Zukunft in der neuen Welt« beschworen, von Verträgen »über neue Bücher«, »ein Leben in den ersten Salons und umgeben von bedeutenden Geistern der Zeit« geschwärmt.
    Dieser Smooth Gentle versuchte offensichtlich, einen Mann zu überzeugen, mit ihm in eine gemeinsame Zukunft zu gehen. War das Objekt der Begierde dieser Andrej Balgakov?
    Ein Satz elektrisierte Finch-Meyers. Da stand wortwörtlich etwas von einer »überraschenden Wiederauferstehung«. Also doch! Dieser Oscar Smooth Gentle hatte den Anarchisten irgendwo an Bord versteckt, um ihn schließlich nach ihrer Ankunft in Amerika aus dem Hut zu zaubern.
    Noch einmal überflog er die Zeilen. Von einer »Wiederauferstehung, die die Welt zu Tränen rühren wird«, war die Rede. Also gut, jetzt musste er diesen Russen nur noch finden und der Kapitän würde zufrieden sein. Rasch musste es gehen, denn bei diesen Leuten wusste man nie, was sie im Schilde führten. Womöglich arbeitete er an einem Anschlag und war nur untergetaucht, um alles in Ruhe vorzubereiten. Aber nicht mit ihm!
    Er tastete den Sekretär ab und drückte zufällig auf eine Perlmutverzierung. Ein kleines Geheimfach sprang auf. Finch-Meyers zog ein Blatt heraus und begann zu lesen.
    »Liebe Miss Sophie, über alles geliebte Miss Sophie, in glühender und brennender Verehrung lege ich dir diese Zeile an dein wogendes Herz. Verwirrt und verwundet wage ich nicht zu hoffen, dass mein Flehen von dir erhört wird. Liebe, das sind nur Buchstaben, aber in meinem Herzen tobt ein sengendes Feuer ...«
    Hier brach der Brief ab. Finch-Meyers massierte sein Ohrläppchen. Donnerwetter, dieser Smooth Gentle war von einem ganz enormen Kaliber. Der ließ seinen Zug gleich auf zwei Gleisen fahren.
    Aus seiner Missionarstätigkeit war er ja einiges gewöhnt, aber was sich hier an menschlichen Untiefen auf der Titanic versammelt hatte, das schlug jedem Fass den Boden aus. Moral, Anstand, aufrichtige Gefühle, fiel denn das alles in diesem bigotten Luxusleben dem Vergessen anheim? Treue war ein Fremdwort, Ehrlichkeit zu einer Floskel verkommen. Man warb gleich um beide Geschlechter. Fehlte nur noch, dass eine Mutter ihren Sohn ehelichte. Sodom und Gomorrha. Wohin das führte, stand ja in der Bibel.
    Plötzlich klopfte es an der Tür. Finch-Meyers erstarrte.
    »Hallo«, sagte eine zarte Frauenstimme. Er blickte sich nach einem Versteck um, aber es war zu spät. Die Kabinentür wurde schwungvoll aufgerissen.
     
    * * *
     
    Miss Sophie saß in einem fliederfarbenen Sportdress auf dem Trainingsfahrrad. Ein muskulöser Sportlehrer mit Zwirbelbart hatte seine Hände um ihre Hüften gelegt.
    »Und langsam drehen, immer weiter drehen.«
    James fand, dass dieser Kerl eine ganz und gar lächerliche Figur abgab. Schon allein dieses Unterhemd, mit dem er seine Muskeln zur Schau stellte.
    James hatte die Tür nur einen Fingerbreit

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