Dinner for one, Murder for two
wartete, dass ein Stuhl frei wurde, packten Wesleys Bewunderinnen umständlich ihre glitzernden Handys in winzige Handtaschen, richteten in Schminkspiegeln Make-up und Frisuren und räumten erst dann widerwillig die Plätze. Tuschelnd stöckelten sie zum Tresen, um die Gesamtrechnung zu bezahlen.
Pippa setzte sich, und Wesley sammelte, ohne ein Zeichen der Verlegenheit, die auf dem Tisch ausliegenden Tarotkarten ein und verstaute sie in einer Umhängetasche, aus der er dann eine Mappe holte, die mit Hamlet beschriftet war.
»Sehe ich das richtig?«, fragte Pippa, bei der Neugier über Diskretion gesiegt hatte. »Die Damen bezahlen Ihre Rechnung?«
»Aber selbstverständlich.« Pete Wesley musterte sie lächelnd. »Das gehört ebenso zum Ritual wie ein ausgiebiges Handgeld. Der Tag heute hat sich wieder einmal gelohnt.« Er zog eine Anzahl Scheine unter seinem Kuchenteller hervor, zählte sie zwei Mal und steckte sie zufrieden ein. »Ich lege die Karten und lese aus der Hand. Natürlich nur Gutes.«
»Sie sind Wahrsager?« Pippa war sich sicher, dass man ihrer Frage mindestens vier Fragezeichen anhörte.
»So könnte man es auch nennen«, sagte Rebeccas Stimme hinter ihr, »aber der gute Pete ist Kriminalpsychologe und Profiler. Da es für ihn in den beschaulichen Cotswolds nicht allzu viel zu tun gibt, hat man seine Stelle gestrichen und bucht ihn nur bei Bedarf. Deshalb bessert er sein überschaubares Einkommen durch höchst geschickte …«
»… tiefenpsychologisch simple, aber nichtsdestoweniger immer treffende …«, fiel Wesley ihr mit erhobenem Zeigefinger ins Wort.
»… Lebenshilfe auf«, vervollständigte Rebecca und setzte sich an den Tisch. »Kartenlegen, Handlesen, Bachblüten gegen Zipperlein aller Art – er ist der Mann der hundert Gesichter. Früher hätte er mit spitzem Hut und Samtumhang in einem bunten Zelt auf dem Rummel gesessen, magische Tinkturen verkauft und sich Petronello, der Wundersame genannt.«
»Moment mal«, sagte Pippa, »er ist also überhaupt nicht dein Freund, Rebecca?«
Rebecca schüttelte den Kopf, während Wesley antwortete: »An mir liegt das nicht, wie ich betonen möchte. Aber bei Rebecca versagen alle psychologischen Tricks. Sie will mich nur aus beruflichen Gründen.«
»Deshalb also die als Spiel getarnte Gruppentherapiesitzung bei Anitas Geburtstag. Mir war schon klar, dass Rebecca das nicht ohne Grund vorgeschlagen hat, aber mit einem Undercover-Profiler habe ich dann doch nicht gerechnet.« Und auch nicht mit einem Pete Wesley, der außer Dienst deutlich kommunikativer und sympathischer wirkte.
Pippa warf Rebecca einen anerkennenden Blick zu, den diese mit einem Lächeln quittierte.
»Ich habe mir vorgestern übrigens nicht nur das Ensemble angesehen, sondern mich auch zusammen mit den Schauspielschülern aus Cheltenham bei von Kestring vorgestellt, um ihn kennenzulernen. Leider war ich ihm zu alt für die Ophelia.« Wesley sagte das völlig ernst, aber seine Augen blitzten amüsiert. »Hochinteressant übrigens, der verblichene Hasso von Kestring«, fuhr er fort, »eine Fundgrube für jeden Psychologen. Klassisches Lehrbuchmaterial, der Mann. Kategorie: Hybris trifft Pascha. Er sah sich als unumschränkter Herrscher über seine Theatertruppe, als Puppenspieler, der seine Marionetten an Fäden tanzen lässt. Er wollte ein Ensemble aufbauen, das ihm völlig hörig ist.«
»Klingt sympathisch …«, warf Rebecca sarkastisch ein.
Wesley nickte. »Er hatte kein Bewusstsein dafür, dass die Mitglieder seines Ensembles Individuen sind. Er betrachtete sie als Klumpen Lehm, aus dem er eine perfekte Truppe formen wollte, die seinen Namen trägt – nach dem Vorbild der Gönner und Theatermäzene zur Zeit Elisabeths I.«
»Vom elisabethanischen Theater hat er so viel verstanden wie ich vom Stabhochsprung«, sagte Pippa. »Ich musste seine schrägen Ideen täglich mit anhören. Friede seiner Seele, aber der Mann war ein größenwahnsinniger Vollidiot.«
»Das ist zwar kein Fachterminus«, erwiderte Wesley, »aber prinzipiell richtig. Er hat die Schauspieler bewusst gegeneinander aufgehetzt und unter Druck gesetzt, um echte Gefühle zu generieren, wie er sagte. Wohlgemerkt: negative Gefühle, denn positive haben ihn nicht interessiert. Trotz allem wurde ihm durch die ausbleibenden Engagements bewusst, dass sein sinkender Stern einer dringenden Politur bedurfte – das war für mich besonders spannend –, und er wollte Sir Michael benutzen, um wieder in der
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