Dinner für eine Leiche
ziemlich viele Männer, die sich für Geschichte interessieren«, warf Gloria Cross ein. Der Blick der so überhaupt nicht großmütterlichen Großmutter wurde ganz verträumt.
Honey stöhnte. So kamen sie nicht weiter. »Mutter, die Männer, die du kennst,
sind
Geschichte.«
Gloria schnaubte. »Hannah, ich gehe auf der Stelle, wenn du mich beleidigst.«
Honey bemerkte den ätzenden Ton, in dem ihre Mutter ihren Taufnamen Hannah ausgesprochen hatte, und entschuldigte sich. Sie versuchte, eine Art professionelle Ordnung in ihre Gedanken zu bringen – professionell im Sinne von Honey Driver, Superdetektivin, nicht von Honey Driver, Hotelbesitzerin.
»Tut mir leid. Lindsey, was Steve dich gern gefragt hätte, wenn wir ihn nicht immer so unhöflich unterbrochen hätten, ist, wo du gestern Abend so zwischen elf und eins gewesen bist?« Sie hielt den Atem an, während sie auf die Antwort wartete.
Die Art, wie Lindsey lächelte, ließ Honey befürchten, dass ihr eine krasse Enthüllung bevorstand. Wie schafften es Teenager bloß, einem manchmal das Gefühl zu vermitteln, selbst noch im Kindergartenalter zu sein – oder schlimmer, kurz vor dem Umzug ins Altersheim zu stehen?
»Mutter, ich war hier. Du warst aus und hast es dir mit Smudger gutgehen lassen, und ich habe hier die Stellung gehalten. Mary Jane kann das bestätigen. Sie hat Tarotkarten gelegt.«
Mary Jane, die früher in La Jolla, Südkalifornien, gelebt hatte, war Doktor der Parapsychologie. Schon seit einigen Jahren war |57| sie regelmäßig in England aufgetaucht, und inzwischen hatte sie sogar beschlossen, für immer hierzubleiben. Sie hatte sich für das Green River Hotel als ständigen Wohnsitz entschieden, weil sie behauptete, dass einer ihrer Ahnen, ein gewisser Sir Cedric Dixon, in den Räumen ein und aus ging. Er war zwar schon beinahe vier Jahrhunderte tot, schien das aber noch nicht begriffen zu haben. Vielleicht wäre ihm das ja doch noch gelungen, hätte Mary Jane nicht beim geringsten Anlass seinen Geist heraufbeschworen.
»Nun, das reicht mir vollkommen«, verkündete die Großmutter und erhob sich. »Mary Jane mag ja ein bisschen exzentrisch sein, aber sie sagt stets die Wahrheit.«
Das klang zwar in Honeys Ohren ein wenig wie ein Widerspruch in sich, doch sie ging nicht weiter darauf ein. Nach Lindseys Geständnis in Sachen Oliver war sie ziemlich wütend und enttäuscht. Warum hatte sie nichts davon gewusst? Warum hatte ihr Lindsey nichts erzählt? So etwas passierte doch nur anderen Leuten, die Töchter hatten. Nicht ihr. Und ihrer geliebten Lindsey.
Genau in diesem Augenblick sackte Steves Kopf auf ihre Schulter. Der Detective war tief und fest eingeschlafen.
Die drei Frauen schauten zu ihm hin. Lindsey redete weiter. »Übrigens hat Casper angerufen.«
»Oh! Dann ist das Gerücht also bei ihm angekommen.«
»Er hat gebeten, du möchtest mal vorbeischauen.«
Honey biss sich auf die Unterlippe. Casper würde alle Einzelheiten zum Mord hören wollen.
Sie umfasste Steves Gesicht vorsichtig mit beiden Händen und bettete seinen Kopf auf die Sofalehne, ehe sie aufstand. »Dann gehe ich besser gleich.«
»Und was ist mit dem hier?« Lindsey deutete mit dem Kinn auf den schlummernden Kripomann.
Ihre Mutter überlegte. »Der ist erst mal ruhiggestellt.« Sie nahm ihrer Mutter Block und Kuli ab und legte Steve beides |58| wieder auf den Schoß. »Weckt ihn, wenn er anfängt zu schnarchen.«
»Gehst du zu Casper?«
»Ja. Und dann mache ich mich auf zu Brilli Broadbent und stelle ihr ein paar Fragen. Diese blöde Kuh! Weißt du, dass ihr Parkplatz gestern Abend voll besetzt war?«
Lindsey lächelte. »Na, na, Mutter. Nicht vergessen, immer schön nett sein zur Konkurrenz.«
»Ich bin aber nicht nett, und wenn es nötig ist, kann ich auch mal ganz schön wild werden …«
Doherty fiel die Kinnlade herunter, und aus seinem offenen Mund dröhnte ein klangvoller Schnarcher.
»Soll ich …?«, fragte Lindsey.
Honey schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Gib mir einen Vorsprung. Dann kannst du ihn wecken.«
[ Menü ]
|59| Kapitel 6
Auf dem Weg zur Tiefgarage, in der ihr Auto geparkt war, zermarterte sich Honey den Kopf, wie sie Brilli Broadbent am besten zurechtstutzen könnte. Am liebsten hätte sie sie unter dem Verdacht verhaftet, ihren eigenen Chefkoch umgebracht zu haben. Die Vorstellung, endlich das arrogante Lächeln von Stellas grellroten Lippen zu vertreiben, war einfach zu köstlich! In Notfällen konnte doch auch eine
Weitere Kostenlose Bücher