Dinotod: Tannenbergs vierter Fall
bekommen hatte, war so schockierend, dass es ihn sofort innerlich erschaudern ließ: Die Fingernägel der attraktiven junge Frau waren total verunstaltet, in einer Weise abgeknabbert, wie es Tannenberg noch nie mit eigenen Augen gesehen hatte.
Aber nicht nur das: Darüber hinaus war die Haut ihrer Fingerkuppen an unzähligen Stellen aufgerissen, mit wild hervorstehenden Hautfetzen besetzt und mit tiefen, blutroten Kerben übersät.
„Ach deswegen! Jetzt, jetzt versteh ich endlich. Das, das haben Sie aber wirklich toll erklärt“, stammelte er erneut, diesmal allerdings nicht aus Gehemmtheit angesichts ihrer bezaubernden Schönheit. Ursache war vielmehr der fürchterliche Anblick dieser barbarisch malträtierten Fingerspitzen, der seinen ersten, geradezu euphorischen Gesamteindruck schlagartig ins Gegenteil verkehrt hatte.
„Na, dass du mit den Dinos nichts anfangen kannst, lieber Wolf, wundert mich überhaupt nicht. Das hängt sehr wahrscheinlich damit zusammen, dass du nie Kind gewesen bist“, schleuderte Sabrina ihrem Chef entgegen.
Tannenberg war derart verwirrt, dass er überhaupt nicht wusste, wie er auf diesen Auswurf reagieren sollte.
Die für ihn unverständliche Reaktion Sabrinas war darauf zurückzuführen, dass seine Mitarbeiterin manchmal gegenüber Geschlechtsgenossinnen einen Anflug von Eifersucht verspürte, dem sie sich in der jeweiligen Situation einfach nicht zu wiedersetzen vermochte.
Und in den letzten Minuten hatte sie mit ihrer weiblicher Sensibilität sehr wohl Tannenbergs Befangenheit registriert, schließlich hatte sie ihn schon des Öfteren bei Kontakten mit den Vertreterinnen ihres Geschlechts erlebt und wusste die in solchen Situationen von ihm ausgesandten Signale intuitiv zu entschlüsseln.
Diesmal jedoch war sie einer gewaltigen Fehldeutung erlegen, denn von Tannenbergs abrupten und radikalen emotionalen Kehrtwendung hatte sie natürlich nichts mitbekommen.
Lediglich mit seiner verstorbenen Frau, die seinen ausgeprägten Hände-Fetischismus geteilt hatte, hatte er dieses Thema ab und an erörtert. Gegenüber anderen Menschen war ihm dazu bislang nie ein Wort, ja noch nicht einmal eine Andeutung über die Lippen gekommen. Aber Lea war ihm, wie in vielen anderen Dingen, auch in dieser Hinsicht geradezu wesensgleich. Mit ihr konnte er dieser Manie uneingeschränkt frönen.
Während seine Augen erneut das makellose Gesicht der Erzieherin abtasteten, erinnerte er sich daran, wie oft Lea seine Hände gestreichelt und ihm dabei lächelnd verkündet hatte, dass er die schönsten Männerhände besitze, die sie jemals gesehen habe.
Der auf ihr ruhende, versonnene Blick Tannenbergs schien der jungen Frau allmählich lästig zu werden, denn unvermittelt erhob sie sich von ihrem Stuhl und begab sich zu den kleinen Löwen, die sich gerade ähnlich heftig um Sabrinas Handschellen stritten, wie ihre in der Savanne lebenden wilden Verwandten um ein erlegtes Beutetier.
„Warum riecht es denn hier im Ort eigentlich so stark nach Rauch?“, fragte Sabrina plötzlich. Sie hatte sich eben gerade daran erinnert, dass ihr bei der Einfahrt in das ehemalige Waldarbeiterdorf ein eigentümlicher Geruch aufgefallen war.
Ein kleines hellblondes Mädchen, das die ganze Zeit über nahezu regungslos neben dem Tisch gestanden und interessiert das Gespräch der Erwachsenen belauscht hatte, ging zwei Schritte auf Sabrina zu, zupfte sie an der Jacke und schaute ihr mit türkisblauen Augen forsch ins Gesicht. „Der Opa sagt immer: Hier riecht es nach Mölschbach! – Wo wohnst denn du?“
„In der Stadt.“
„Und du, alter Mann?“
„Auch in der Stadt“, antwortete Tannenberg mürrisch, der am liebsten dieses Adjektiv radikal aus dem Wortschatz der deutschen Sprache verbannt oder zumindest dessen Gebrauch strikt untersagt hätte.
„Bei uns im Dorf wird eben noch viel mit Brennholz geheizt“, knüpfte die Kindergartenleiterin an Sabrinas Frage an.
Tannenberg schien an einer ausführlicheren Erörterung dieses Themas nicht sonderlich viel gelegen zu sein, denn er ergriff mit lauter Stimme das Wort: „So, Kinder, wer von euch war das nochmal, der die Tote auf dem Dino entdeckt hat?“
Wieder meldete sich Johannes. Diesmal streckte er wie ein aufmerksamer Schüler stumm einen Arm in die Höhe.
„Dann komm mal bitte her.“
Johannes nahm nicht den direkten Weg zu Tannenberg, sondern er ging zu der jungen Erzieherin, die inzwischen wieder auf der Couch Platz genommen hatte, ergriff das neben ihr
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