Dinotod: Tannenbergs vierter Fall
getroffen. Tannenberg schwieg.
„Dieser Verdrängungsmechanismus ist im Übrigen völlig normal. Wir schützen damit unsere mühevoll zusammengebastelten Selbstkonzepte vor dem Einsturz. Wir Menschen wollen einfach die Welt nicht so wahrhaben, wie sie tatsächlich ist, sondern so, wie sie für uns am angenehmsten ist. Dadurch drücken wir uns erfolgreich vor einer Konfrontation mit der schmerzlichen Wahrheit.“
„Ach, Eva, du immer mit deiner Psychokacke! Lass mich doch in Ruhe mit diesem theoretischen Quark!“
„Nein, weißt du auch warum?“
„Nee!“
„Weil du in diesem Falle so blockiert bist, dass man dir eigentlich den Fall entziehen müsste.“
Diese Aussage traf den Leiter des K 1 wie einen kräftigen Schlag in die Magengrube. Zwar war er tatsächlich nicht gerade unheimlich begeistert darüber, sich mit diesen mysteriösen Mordfällen herumplagen zu müssen, aber sich den Fall entziehen zu lassen, das wollte und konnte er sich natürlich nicht bieten lassen. Zumal im Hintergrund schon der eine oder andere jüngere Kollege unruhig mit den Hufen scharrte.
„Warum bin ich blockiert?“
„Aus zwei Gründen: Erstens, weil du dich immer noch schuldig fühlst an dem Tod deines Klassenkameraden und dir immer noch große Vorwürfe dahingehend machst, dass du ihm nicht schon viel früher auf die Schliche gekommen bist. Schließlich hättest du dann einer oder gar mehrerer Frauen das Leben retten können.“
„Quatsch!“
Die Kriminalpsychologin ging auf diesen Punkt nicht weiter ein, sondern präsentierte den nächsten Grund für Tannenbergs angebliche Befangenheit: „Zweitens stellt sich die Frage, ob du in deiner Eigenschaft als Mann überhaupt in der Lage bist, dich mit diesem Fall kompetent auseinanderzusetzen.“
„Jetzt bin ich aber auf deine Argumente mal richtig gespannt.“
„Objektiv besehen seid ihr Männer heute schon wirklich arm dran: Euch schwimmen zusehends die Felle weg, wir Frauen emanzipieren uns immer stärker von euch, werden mächtiger und brechen in eure jahrtausendelang streng abgeschirmten Bastionen ein. Machtgeile Kampfweiber dressieren euch zu geknechteten Hausmännern.“
„Interessante Gesichtspunkte.“
„Ihr könnt uns einfach nicht verzeihen, dass wir euch zu domestizieren versuchen.“
„Damit wir am Ende dieser Umerziehungsaktion brav Pfötchen geben, wie ein kastriertes Schoßhündchen!“, höhnte Tannenberg. „Das würde euch so passen!“
„ Und ihr könnt uns nicht verzeihen, dass wir eure Freiheiten einschränken und euer komfortables Paschadasein beenden. Da ist es doch kein Wunder, dass manch einer von euch sich nicht mehr anders zu helfen weiß, als die Speerspitzen der Frauenbewegung brutal zu ermorden.“
„Willst du damit etwa sagen, dass schon wieder ein verrückter Frauenhasser hinter den beiden Morden steckt? Ich dachte, du hast noch gar keine Täteranalyse durchgeführt? Ich versteh allmählich überhaupt nichts mehr.“
„Na, da sind wir ja auf dem richtigen Weg, Herr Hauptkommissar. Verwirrung ist immer eine ausgesprochen erfolgversprechende Strategie, um eingefahrene Denkmuster zu zerstören und Platz für neue zu schaffen. – Also weiter: Ich meine, es ist ja wirklich so, dass ihr Männer in bestimmten Bereichen einen eindeutig wissenschaftlich gesicherten Kompetenzvorsprung gegenüber uns Frauen habt. Zum Beispiel einen effektiveren räumlichen Orientierungssinn und ein besseres Vorstellungsvermögen.“
„Und dieses Lob aus deinem berufenen Munde! Hab Dank, oh edle Maid!“, antwortete Tannenberg in Poetenmanier.
Eva lachte.
„Nur habt ihr leider das Problem, dass man heute eure Kompetenzen nicht mehr benötigt. Ihr braucht kein Wild mehr auszuspähen und ihm hinterherzuhecheln. Schließlich liegt das Fleisch heutzutage feinsäuberlich abgepackt im Supermarkt. Und da euch die Jagdobjekte in der freien Natur fehlen, verlegt ihr dieses Gebaren einfach auf die Straßen und fallt dort über die Fahrer von PS-schwächeren Autos her. Und die absoluten Weicheier unter euch werden von uns auch noch dazu verdammt, ihren nachweisbaren Evolutionsvorsprung zum Sockensortieren oder zum Pilzsuchen zu verwenden. – Womit wir schon wieder bei deinem erster Fall angelangt wären.“
Während Tannenberg sprachlos auf seinem Stuhl festgefroren schien, sprang Eva auf, fing an zu tanzen und sang zu ihren rhythmischen Körperbewegungen den dazu passenden Grönemeyer-Song: „Männer haben’s schwer, komm nimm’s leicht – Außen hart
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