Diplomat Im Abseits
Reeperbahn. Auf der Ost-West-Straße blickte sie immer wieder aus dem Rückfenster; konnte aber nicht feststellen, ob sie verfolgt wurde. Der Fahrer sah sie von der Seite an. »Na, schlechtes Gewissen, oder will er mitverdienen? – Ist ja mächtig was los heut nacht. Hat sich wohl bis zum Hansaplatz herumgesprochen, daß die Navy eingelaufen ist.«
Ihr wurde erst durch diese Worte bewußt, daß sie wie eine der billigsten Discount-Nutten aussah. »Sie können mich schon am Millerntor absetzen.«
»Mir auch recht«, bestätigte der Fahrer. »So richtig interessant wird es aber erst weiter oben.«
Paulette blieb schweigsam. Als sie ausgestiegen war und bezahlt hatte, wartete sie ein paar Minuten in der Nähe der U-Bahnstation St. Pauli. Von hier aus hätte sie einem Verfolger am ehesten entkommen können. Dann ging sie mit schnellen Schritten zum Hotel »Oldsmobile«. Es war ein beruhigendes Gefühl, die Davidwache gleich nebenan zu haben.
Wieder auf dem Zimmer holte sie eine kleine Flasche Tuborg aus dem Kühlschrank. Für ihre augenblickliche Verfassung war die Köstlichkeit auch mit zehn Mark nicht zu teuer bezahlt.
Sie setzte sich in den abgeschabten Sessel und trank die Flasche in einem Zug leer. Ihre Möglichkeiten, Subin zu finden, hatten sich auf null reduziert; allein konnte sie nichts mehr unternehmen. Aber Paulette wußte auch, was es bedeutete, gegen das oberste Gesetz des Kiez zu verstoßen, das da lautet: »Niemals Polizei, wenn Luden im Spiel sind.«
Aber sie wollte Subin nicht im Stich lassen; die kleine Thai wäre verloren im Dschungel der Hafenstadt. Paulette zögerte, auf dem Zimmer das Telefon zu benutzen. Obwohl es für eine Direktwahl eingerichtet war, hatte sie Angst, daß die gewählte Nummer über den Abrechnungscomputer gespeichert wurde. Wenn man einmal ihre Spur aufgenommen hätte, wäre Navals Arm lang genug, auch diese Quelle auszuloten.
Sie zog ihren Trenchcoat über, um so unauffällig wie möglich zu wirken und ging zum Fernsprecher am Spielbudenplatz. Den Mantelkragen hatte sie hochgeschlagen und reihte sich vor der Telefonkabine geduldig in die Schlange ein, die immerhin davon kündete, daß der Apparat ausnahmsweise nicht von Vandalen demoliert war.
Dann wählte sie 1-1-0.
Ohne auf die wiederholte Frage des Beamten, wer dort von wo spreche, zu antworten, spulte sie den zurechtgelegten Text ab: »Die Thailänderin Subin Tairong hat nach einigen Irrwegen im Hause Babylon auf St. Georg eine Bleibe gefunden. Ich habe vor gut einer Stunde versucht, mit ihr zu sprechen. Nach der mir durch die Haustürklappe gegebenen Auskunft ist Subin Tairong spurlos verschwunden – und zwar ohne Paß. Den hat man, wie es scheint, im Babylon zurückbehalten.«
»Bitte geben Sie mir Ihren Namen und Ihre Adresse an«, forderte der Beamte zum drittenmal.
»Ich bin doch nicht lebensmüde«, sagte Paulette und legte den Hörer auf.
Nach dem Anruf im Polizeipräsidium am Berliner Tor hatte Kriminaloberkommissar Friese – zuständig für Vermißtensachen – den Auftrag erhalten, gelegentlich bei Bongo in St, Georg vorbeizuschauen, um ein paar Fragen zu stellen.
Junge Frauen, die ohne ersichtlichen Grund und ohne Abmeldung bei Bekannten oder Nachbarn aus ihrer Wohnung verschwunden waren, gab es in Hamburg mehr als genug. Die meisten tauchten nach einiger Zeit wieder auf und gingen ihren Alltagsgeschäften nach, als sei nichts gewesen. Die Damen vom horizontalen Gewerbe zogen sich auch schon mal für einige Tage aus dem Verkehr, um ein paar Schrammen auszuheilen, die ein übereifriger Freier ihnen beigebracht hatte oder die sie von den Loddels wegen Unbotmäßigkeit vor dem Freund bezogen hatten. – Die Polizei hatte wichtigeres zu tun, als jedem Fall dieser Art mit Hochdruck nachzugehen.
Für Friese hatte sich die Haustür mit der kleinen Klappe nach einem Druck auf die Klingel und das Hochhalten des Ausweises viel schneller geöffnet, als es mit dem üblichen Klingelzeichen drei kurz – drei lang – drei kurz möglich gewesen wäre.
Friese, der in den vergangenen Jahren das Viertel zwischen Steindamm und Außenalster schon kreuz und quer durchstöbert hatte, wußte ebenso wie die Uniformierten im Revier, was im Babylon lief. Aber wie viele andere, die die Hintergründe kannten, hielt er an der Fiktion fest, daß hier ganz regulär Zimmer vermietet wurden; schließlich war das Babylon ein konzessionierter Übernachtungsbetrieb. – Den angebotenen Softdrink lehnte Friese nicht ab.
Weitere Kostenlose Bücher