Dir darf ich nicht gehören
eigenen
Sicherheit sowie derjenigen der Postkutschenpassagiere. Viola schaute zu dem
hohen Sitz der Karriole hinauf. Der Kutscher blickte im gleichen Moment zu ihr
hinab und ihre Blicke begegneten sich einen Sekundenbruchteil.
Dann
war er mit seiner Karriole vorbeigelangt.
Viola
setzte sich abrupt in ihrem Sitz zurück und schloss die Augen.
»Der
Narr!«, schimpfte jemand. »Er hätte uns alle töten können.«
Was, um
alles auf der Welt, tat er auf der Straße nach London? Hatte er ihren Brief
nicht gelesen? Und hatte er sie gesehen? Natürlich hatte er sie gesehen.
Viola
hielt die Augen fest geschlossen, während ihre Gedanken und Empfindungen
einander jagten. Sie hatte sich den ganzen Tag der Nacht zuvor erinnert, auch
wenn sie verzweifelt versucht hatte, die Erinnerung auszulöschen. Aber das
Einzige, woran sie sonst noch denken konnte, war die Zukunft, und die hielt für
sie ...
Die
Wache blies erneut ins Horn und ein Passagier fluchte. Hannah schalt ihn und
ermahnte ihn, es seien Ladys anwesend. Die Kutsche verlangsamte ihr Tempo.
Dieses Mal war endlich ein Gasthaus der Grund. Und das Erste, was Viola sah,
als die Postkutsche auf den bevölkerten Hof fuhr, war die Karriole, die sie vor
zehn Minuten auf der Straße überholt hatte. Ein Stallknecht wechselte gerade
die Pferde.
»Hannah!«
Viola ergriff das Handgelenk ihres Dienstmädchens, als die Stufen herabgelassen
wurden und die Passagiere eilig aussteigen wollten, um die kurze Rast, die man
ihnen gewährte, bestmöglich zu nutzen. »Bleib hier, bitte! Du brauchst doch
nicht unbedingt etwas, oder? Wir werden bis zum nächsten Halt warten.«
Hannah
wirkte überrascht, aber bevor sie Violas seltsame Bitte in Frage stellen
konnte, war bereits jemand an den Kutschenschlag getreten und streckte Viola
eine Hand entgegen.
»Gestatten
Sie?«, sagte Lord Ferdinand Dudley.
Hannah
atmete scharf ein.
»Nein«,
sagte Viola. »Danke. Wir brauchen nicht auszusteigen.«
Aber er
war in diesem Moment nicht der lächelnde, gefällige Gentleman, mit dem sie
höchst vertraut war. Er war der grimmige, verbissene, überhebliche, fordernde
Aristokrat, der er auch an jenem ersten Morgen auf Pinewood gewesen war. Seine
Augen wirkten sehr schwarz.
»Hannah«,
sagte er, »steigen Sie bitte aus. Gehen Sie ins Gasthaus und bestellen Sie sich
eine Mahlzeit. Sie brauchen sich nicht zu beeilen. Sie haben viel Zeit. Die
Postkutsche wird ohne Sie beide weiterfahren.«
»Das
wird sie gewiss nicht.« Viola erstarrte vor Entrüstung. »Bleib, wo du bist, Hannah!«
»Wenn
Sie hier im Hof des Gasthauses vor so vielen Zuschauern mit mir streiten
wollen, bin ich dabei«, sagte er grimmig. »Aber Sie werden Ihre Reise in der
Postkutsche nicht fortsetzen. Ich schlage vor, dass Sie in den Privatsalon
gehen, den ich gemietet habe, und sich dort mit mir streiten. - Hannah,
bitte!«
Hannah
ergriff ohne weiteren Einwand seine Hand und kletterte aus der Kutsche. Sie
verschwand in Richtung Gasthaus, ohne auch nur zu Viola zurückzuschauen.
»Kommen
Sie.« Er hatte seine Hand wieder in die Kutsche gestreckt.
»Unser
Gepäck ...«, begann sie.
»Wurde
bereits abgeladen«, versicherte er ihr.
Da
wurde sie zornig. »Sie haben kein Recht dazu«, sagte sie, während sie seine
Hand beiseite schob und den gepflasterten Hof ohne seine Hilfe betrat. Ihre und
Hannahs Gepäckstücke standen tatsächlich nebeneinander auf dem Boden. »Das ist
Schikane. Das ...« Sie gewahrte das Grinsen eines Pferdeburschen und schloss
jäh den Mund. Er war nicht der Einzige, der in seiner Arbeit innehielt, weil er
hoffte, Zeuge eines Streits zu werden.
»Davongelaufene
Ehefrauen brauchen eine feste Hand«, bemerkte Lord Ferdinand freundlich und
offensichtlich zur weiteren Belustigung der Umstehenden. Er umfasste fest ihren
Ellenbogen und drängte sie auf das Gasthaus zu, während sie entrüstet dem
Mannsgelächter hinter ihnen lauschte.
»Wie
können Sie es wagen!«
»Es ist
verflixtes Glück, dass ich Sie eingeholt habe, bevor Sie London erreichen«,
sagte er. »Was, zum Teufel, bezwecken Sie damit, so davonzulaufen?«
Er
führte sie einen langen Flur mit niedriger Decke entlang zu einem kleinen Raum
an der Rückseite des Gasthauses. Ein Feuer knisterte im Kamin. Ein Tisch in der
Mitte des Raumes war mit einem weißen Tischtuch und für zwei Personen gedeckt.
»Ich
wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihre Zunge hüten würden«, sagte sie. »Und
mein Handeln geht Sie nichts an. Mein Ziel in London auch nicht.
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