Dirigent
ganze Zeit Sonja, Sonja! , wie eine Möwe, die über einem Schiff kreist, ohne zu wissen, wo es hinfährt oder ob es sich lohnt, ihm zu folgen.
Elias kommt nach Hause
Obwohl seit vielen Tagen die Sonne schien, wurde Elias immer kälter. Als er die Wohnung verließ, merkte er, dass er am ganzen Körper zitterte. Seine Finger waren wachsgelb, seine Nägel so weiß wie Gips. Er schlug sich mit den Händen auf die Schenkel und fühlte nichts; auch seine Füße, die mit Lappen umwickelt in den Stiefeln steckten, waren taub. Er humpelte um die Ecke und stellte sich zum Auftauen in die Sonne.
Nichts geschah. Sein Körper blieb gefroren. Ihm war, als blickte er auf sich selbst hinab, ein Strichmännchen in einem Wust aus Jacken, Mänteln und Schals, an derselben Mauer lehnend wie einst jener weit besser gekleidete, nervös-korrekte Mann, der Angst gehabt hatte, zum Kiosk zu gehen (wenn sein benebeltes Gedächtnis ihn nicht täuschte, hatte dieser Kiosk genau an der Stelle des Stahlbunkers gestanden). Mit dem zeitlichen Abstand staunte er über die Naivität des früheren Karl Eliasberg. Sich derart über die Kritik eines Rivalen zu grämen, der ihn nicht als solchen anerkennen wollte! So große Hemmungen zu haben, mit einem korpulenten Musikprofessor im zerknitterten Anzug zu sprechen!
Er wollte unbedingt, dass die Sonne ihn auftaute, sein Herz das Blut wirkungsvoller durch seine Adern pumpte, seine Füße ihn rechtzeitig zum Probenraum trugen . Du bist noch nie im Leben zu spät gekommen , sagte er sich, und das wird dir auch heute nicht passieren.
In der vergangenen Woche war er einmal mehr den Newski-Prospekt zum Kulturministerium hinuntergetrottet und hatte zwei Stunden unter der tickenden Uhr gewartet,bevor er sich so leidenschaftlich, wie er konnte, für seine Musiker ins Zeug legte. Sie seien krank und schwach, könnten sich kaum auf ihren Stühlen halten. Ein Flötist namens Karelski sei bereits an schwerer Unterernährung gestorben, und wenn die Verantwortlichen nichts unternähmen, würden noch viele weitere folgen. Die Funktionäre hörten teilnahmslos zu, während er ihnen schilderte, wie den Spielern die Instrumente aus der Hand rutschten oder anstelle von lauter, die Moral hebender Musik immer wieder zersetzende Stille eintrat.
Anscheinend hatte er sie überzeugt. Gleich am nächsten Tag verkündete Sagorski, dass die Lebensmittelrationen für die Mitglieder des Rundfunkorchesters erhöht und bis zum Tag des Konzerts gleich bleiben würden. Überdies sollten alle Musiker Papiere erhalten, die sie als Mitglieder von Eliasbergs Orchester auswiesen, sodass sie in den Genuss medizinischer Vorzugsbehandlung kämen und an Kontrollstellen schneller durchgelassen würden. Doch mit etwas mehr Weizenkeimen und wässriger Bohnensuppe ließ sich die Uhr nicht zurückdrehen, das wusste Elias. Es gab keine schnelle Methode, um einen Trupp wandelnder Gerippe zu effizienten Musikern und Soldaten zu machen.
Und in der Tat, als er an diesem Morgen den Probenraum betrat – langsam, schwerfällig, aber trotz seiner eisigen Füße rechtzeitig –, drehte sich das Gespräch nicht ums Kämpfen oder Musizieren, sondern ums Essen. Oder genauer gesagt: um den Mangel daran.
Als er zum Pult humpelte, kehrte pflichtschuldige Stille ein, ein allgemeines Bogenspannen und Notenaufschlagen begann. So viel hatte er immerhin erreicht. Er ließ ein A anspielen und wartete ab, während die Musiker ihre Instrumente stimmten – nicht dass die korrekte Tonhöhe den Männern und Frauen vor ihm besonders wichtig gewesen wäre. Wer in einer Militärkapelle gespielt hatte, legte im Allgemeinen mehr Wert darauf, den Takt zu halten,als in der Tonart zu bleiben. Das Gekratze und die Dissonanz, die stümperhaften, wackligen Akkorde – vor nicht allzu langer Zeit hätte all das Elias noch körperliche Qualen bereitet. Jetzt störte es ihn kaum. Wenn das Orchester es auch nur schaffte, die Sinfonie handwerklich einigermaßen solide durchzuspielen, hätte er bereits ein Wunder vollbracht.
»Wir beginnen mit dem Adagio«, sagte er und schlug die Partitur auf.
An diesem Morgen fühlte er sich entrückter denn je – so sehr, dass es ihm fast wie Gelassenheit vorkam. Er war nichts weiter als ein Zuschauer, der das Orchester aus der Ferne beobachtete. Das Einzige, was es ihm vorübergehend näher brachte, war der Anblick Nikolais, der Nina Bronnikowa mit dem Klavierhocker half, wobei er den linken Arm schützend hinter sie hielt, was fast so aussah, als
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