Dirigent
überzeugt –, dann müssen Sie dem einfach nachgeben. Und sich freuen, dass Sie zu lieben imstande sind.« Seine Stimme brach ein wenig, woraufhin Nikolai zu ihm hinsah. »Natürlich liebe ich Nina.« Schostakowitsch klang fast entrüstet. »Aber vielleicht nicht so sehr, wie die meisten Frauen es sich wünschen würden. Sie dagegen waren der ideale Ehemann, und Sie werden wahrscheinlich auch der ideale Vater sein.«
Nach diesem Abend hatte sich das weiße Flimmern allmählich aus Nikolais Blickfeld verzogen. Gegen Ende des Sommers war er in der Lage, seine Tochter einigermaßen gerade anzusehen, sie auf den Arm zu nehmen und zu küssen, und bald war sogar Tanja überzeugt, dass sie diezeitweilige Vormundschaft für die Tochter ihrer Schwester abgeben konnte und nur noch einmal am Tag, nach Vereinbarung, zum Kochen und Saubermachen vorbeizukommen brauchte. »Wird auch Zeit«, sagte sie, als sie in der Wohnung umherlief und ihre paar Habseligkeiten einsammelte. »Ich habe mich schon gefragt, wie lange du noch in dieser Stimmung verweilen wolltest.«
Doch Nikolais »Stimmung« hatte ihn nie gänzlich verlassen. Manchmal, wie an diesem Morgen, als er Sonjas Arme um seinen Hals spürte, war seine Angst vor der Liebe beinahe größer als die Liebe selbst. Sie fühlte sich wie eine Behinderung an, mit der er für den Rest seines Lebens würde zu kämpfen haben – nicht gänzlich lähmend, aber erschöpfend konstant.
»Komm!« Sonja tänzelte voraus und drehte sich hin und wieder nach ihm um. »Langsamer alter Papa!«, schalt sie ihn.
»Ich habe keine Kondition mehr. Den ganzen Tag dasitzen und faulen Studenten Sonatenschreiben beibringen ist nicht das beste Training.«
»Vielleicht kannst du mich ja einholen, wenn ich rückwärtsgehe«, sagte Sonja.
»Und wenn ich hüpfe« – Nikolai hob den linken Fuß vom Boden –, »siehst du vielleicht, dass ich meine Siebenmeilenstiefel anhabe. Mit denen ich dich besser fangen kann!« Hüpfend, den Blick auf Sonja gerichtet, die rückwärtslief, krachte er gegen einen Laternenpfahl. »Kleines Tänzchen gefällig?«, fragte er den metallenen Mast. Sonja kicherte.
»Danke! Sehr gern.«
Als Nikolai sich von dem Mast befreit hatte, sah er eine schmale, dunkle Gestalt neben sich. »Oh! Nina Bronnikowa! Guten Tag!« Er hatte schon länger gehofft, sie einmal zu treffen, wusste er doch, dass sie in diesem Viertel wohnte – doch dies war keine ideale Art der Begegnung. Er bemühte sich, nicht zu erröten. »Natürlich würde ichlieber mit Ihnen tanzen, aber ich fürchte, Sie sind athletischere Partner gewöhnt.«
»Keineswegs«, antwortete Nina Bronnikowa und strich sich das dunkle Haar zurück. »Sie wären erstaunt, was für Tollpatsche heutzutage ins Kirow-Ballett aufgenommen werden.«
»Sie sind im Kirow-Ballett?« Sonja bestaunte die schmalen Schultern der Frau, die muskulösen, in schwarze Strumpfhosen gekleideten Beine. »Ach, ich wollte immer, immer eine Ballerina sein! Aber Papa sagt, Tänzer sind dumm, und ich soll lieber Musikerin werden.«
Erneut war Nikolai kurz davor, zu erröten. »Ich meinte niemanden persönlich«, murmelte er. »Schon gar nicht Sie.«
Ein kleines Lächeln huschte über Nina Bronnikowas Gesicht. »Dein Papa hat wahrscheinlich recht«, sagte sie zu Sonja. »An manchen Tagen halte selbst ich Tanzen für einen dummen Beruf.« Und damit entfernte sie sich, die Füße leicht nach außen gedreht, die Ellbogen eng an die schlanke Taille gedrückt.
Sonja blickte ihr sehnsüchtig nach. »Das ist ja eine schöne Frau. Heißt sie auch Nina? Wie Frau Schostakowitsch?«
»Ja.« Nikolais Stirn pochte noch vom Zusammenprall mit dem Laternenpfahl. »Aber sie ist ganz anders als Frau Schostakowitsch. Das genaue Gegenteil von ihr.« Er hatte noch keinen der legendären Wutausbrüche von Schostakowitschs Frau miterlebt, konnte sie sich aber ohne weiteres vorstellen, während Nina Bronnikowa so kühl wie Wasser schien.
»Ich habe noch nie eine echte Ballerina getroffen. Bisher hatte ich sie immer nur von weitem gesehen. Von nahem sehen sie viel größer aus.« Sonja spähte Nikolai ins Gesicht. »Geht’s dir gut? Dein Gesicht ist ganz rot.«
»Das wird die Sonne sein. Ich bin in diesem Frühling so viel drinnen gewesen, dass meine Haut einfach nicht daran gewöhnt ist.«
»Ja, du musst öfter rausgehen«, sagte Sonja. »Wollenwir nicht diesen Sommer aufs Land fahren? Galina Schostakowitsch sagt, sie mieten vielleicht eine Datscha in der Nähe von Luga.
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