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Dirigent

Dirigent

Titel: Dirigent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Quigley
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eindeutig auch – ganz zu schweigen von meiner Mutter und Galina. Maxim wahrscheinlich am wenigsten, weshalb er auch nur ein zweitklassiger Dirigent wird. Er hat zu wenig von einem Diktator an sich, um der beste zu sein.«
    »Er ist drei Jahre alt«, lachte Nikolai und schlug Schostakowitsch auf die Schulter. »Vielleicht bleibt Ihnen ja die Pein erspart, einen Dirigenten in der Familie zu haben.«
    »Was ist so schlecht an Dirigenten?«, fragte Sonja.
    »Gar nichts«, sagte Nikolai. »Einer von Herrn Schostakowitschs besten Freunden ist Dirigent.«
    »Das stimmt leider«, sagte Schostakowitsch zu Sonja. »Darf ich dich einen Teil des Nachhausewegs begleiten?«
    »Gern, danke.« Ein wenig affektiert, mehr wie eine erwachsene Frau als ein neunjähriges Mädchen, schob sie ihre Hand unter seinen Arm. »Ich drücke dir auf dem ganzen Weg die Daumen für deine Musterung«, versprach sie Nikolai.
    »Ja, viel Glück«, sagte Schostakowitsch. »Obwohl ich nicht glaube, dass Sie heute Probleme haben werden. Man wird Ihnen entweder Kriegs- oder Arbeitstauglichkeit bescheinigen. Die Schwierigkeiten kommen später, wenn man sie ganz aus der Stadt entfernen will, weil es angeblich wichtiger ist, Leningrads Kultur zu bewahren als Leningrad selbst.«
    »Eine Hürde zurzeit. Im Übrigen haben uns solche Gewissenskonflikte auch schon lange vor dieser Krise begleitet.« Nikolai sprach mit sanfter Stimme, aber insgeheim ärgerte er sich darüber, dass Schostakowitsch sich selbst von derlei Druck befreit glaubte. Meinte er wirklich, die Verantwortlichen würden einen von Russlands berühmtesten Komponisten in der Stadt bleiben und Gräben ausheben lassen, während geringere Talente in Sicherheit gebracht wurden?
    Er beobachtete, wie Sonja am Arm von Dmitri Schostakowitsch, dem berühmtesten Mann, den sie vermutlich je kennenlernen würde, davonstolzierte. Ihr leicht schräg gelegtes Gesicht deutete darauf hin, dass sie ihn in ein höfliches Gespräch verwickelte, wahrscheinlich nach Maxims großer Schüchternheit fragte, die sie enorm zu beschäftigen schien, oder nach Galinas Ehrgeiz, eine Ballerina von Weltrang zu werden. Doch an der Ecke Dominkowskaja-Straße wandte sie noch einmal den Kopf, um zu prüfen, ob Nikolai ihnen nachschaute, und hob die freie Hand hoch in die Luft, damit er sah, dass sie ihm den Daumen drückte.
Die Verschlossenheit der männlichen Eliasbergs
    Elias’ Vater war ein verschlossener Mann gewesen, obgleich er viel und gern redete; ein Schuhmacher, der sich an den eigenen Schnürsenkeln emporgezogen hatte, um eine Ebene unerschütterlicher Selbstzufriedenheit zu erreichen. Wenn seine Fassade Brüche zeigte, seine Grammatikoder seine Tischmanieren ihn im Stich ließen, nahm er es einfach nicht zur Kenntnis. Seine Rüstung, die er sich über viele Jahre zurechtgehämmert hatte, war die Verdrängung.
    Er war ein versierter Kunsthandwerker und kein Künstler – außer darin, Dinge zu verbergen. Er verbarg seine Herkunft, seine Schwächen, seine Gewissensbisse, seine Wehmut und seinen Kummer. Als Karl geboren wurde, hatte Herr Eliasberg bereits gelernt, alles zu ignorieren, was den Menschen verriet, der er einmal gewesen war.
    Oft lief er nackt im Haus herum. Anscheinend glaubte er, umso weniger Gefühle offenbaren zu müssen, je ungehemmter er sich körperlich gab. Zu seinen wenigen Freuden gehörte das Baden. Noch im Oktober, wenn der Himmel schon bleigrau war, nötigte er seine Frau – die nicht gerne schwamm – und seinen Sohn – der nicht schwimmen konnte –, das Publikum für ihn abzugeben. Karl und seine Mutter saßen dann in ihren Mänteln auf einem Teppich aus feuchtkalten Blättern und sahen zu, wie Herr Eliasberg sich Hemd und Hose auszog und zum Wasser eilte. Nach endlosem Geplansche tauchte er irgendwann wieder aus den Fluten auf; das Wasser strömte nur so an seinen haarigen Beinen herunter, und hinter dem vor Kälte eingeschrumpften Penis baumelte der Hodensack. Das war der Moment, in dem Karl den Blick abwandte und anfing, über irgendetwas zu reden, egal was, Hauptsache, er brauchte nicht hinzusehen.
    »Was ist Karl Eliasbergs Problem? Kränkt ihn der Anblick des menschlichen Körpers?«
    Fast dreißig Jahre später hörte Elias noch immer die miteinander verflochtenen Emotionen in der Stimme seines Vaters: Exhibitionismus gemischt mit Selbstachtung und Hohn. Es war nicht der menschliche Körper schlechthin, der ihn, den damals Zehnjährigen, sich winden ließ, sondern allein die Tatsache,

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