Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)
gebadet, schmeckte Blut auf seiner Zunge.
10
Während Wyatt von dem Juwelenhandel der Brüder Furneaux erfuhr, hielt sich Henri Furneaux im Zentrum von Melbourne auf, in der Collins Street, genauer gesagt im Zimmer seines Cousins im Sofitel, und fragte: »Bist du sicher?«
Le Page stand am Fenster, seufzte und wiederholte: »Niemand ist mir gestern vom Flughafen gefolgt.«
»Bist du absolut sicher?«, fragte Henri, das feiste Gesicht kaum unter Kontrolle, die Hände klatschnass. Er war Ende vierzig, von feuchter Korpulenz, lässig und gewandt im Umgang mit seinen wohlhabenden Kunden, aber nervös und unsicher in Gegenwart seines Cousins.
Le Page beachtete ihn nicht. Durch dickes Glas von hupenden Autos getrennt, vom Gebimmel der Straßenbahnen, das unachtsame Passanten warnen sollte, und vom Geräusch der Ledersohlen auf Straßenpflaster, blickte er hinunter auf die Collins Street. Er hatte den Rest des Samstags zum Ausschlafen genutzt, seinen Jetlag überwunden und war jetzt völlig entspannt.
Henri war nicht entspannt. »Alain«, sagte er, rutschte in seinem Klubsessel nach vorn, wobei sein Bauch auf den Schenkeln zum Ruhen kam, »nachdem du mir letzte Woche die E-Mail geschickt hast, bin ich online gewesen. Ein Typ wurde erstochen. Warst du das? Da wird sich Interpol einschalten.«
»Wenn wir schnell handeln, können wir die Papiere abstoßen, bevor die auf die Idee kommen, hier zu recherchieren.«
»Aber — «
»Meine Tätigkeit als Kurier ist völlig legal«, sagte Le Page über seine Schulter hinweg. »Ich reise ständig in dieses Land ein und wieder aus.«
»Und wenn sie bereits nach dir fahnden?«
Le Page deutete nach unten, auf die Collins Street. »Das nennt ihr hier ›Paris End‹?« Er schüttelte angewidert den Kopf.
»Alain, bitte.«
Le Page ging vom Fenster weg und setzte sich an das Ende des Bettes. »Hör zu. Der Russe ist tot. Wenn die Polizei irgendwas wüsste, hätte man mich bereits festgenommen.«
»Russe?«, wiederholte Henri kraftlos und streifte den Stapel Wertpapiere auf dem niedrigen Couchtisch zwischen ihm und seinem Cousin mit einem Blick.
Er nagte an der Innenseite seiner Wange. Wie immer sah sein Cousin frisch, adrett und respekteinflößend aus, sein knochiger Kopf war sorgfältig frisiert und das Gesicht straff und asketisch. Hätte Furneaux schätzen müssen, hätte er gesagt, dass Alain Schuhe für eintausend Dollar das Paar trage. Seidenjackett, Leinenhose, Baumwollhemd — alles einen Tick lässiger, um die Glock, Kaliber 9 mm, und das Holster zu kaschieren. Immer wenn Alain aus Europa einflog, war Henri gehalten, ihn mit einer Pistole auszurüsten. Jedes Mal dieselbe Pistole aus dem Safe seines Büros.
»Der Russe ist tot«, wiederholte Alain, »also brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
Die Innenseite von Henri Furneaux’ Wange fühlte sich wund an. »Interpol ... «
»Pass auf«, sagte sein Cousin, »man hat mich noch nie festgenommen. Niemals. Nirgends. Nie befragt oder festgehalten, niemals verdächtigt.«
Seine Worte unterstützte er mit Gesten. Er wirkte überaus französisch auf Furneaux, dessen einzige Nähe zu Frankreich seit dreißig Jahren in dem Verzehr eines Croissants zum Frühstück bestand. Le Page strahlte Geringschätzung und Arroganz aus, ein Eindruck, der noch unterstrichen wurde, als er jetzt fortfuhr: »Ich entdecke jeden Verfolger. Und ich schüttle jeden Verfolger wieder ab. Darin bin ich gut. Eine meiner vielen Qualitäten. Fakt ist, ich bin stets derjenige, der beobachtet.«
In Furneaux’ Augen war das nichts als aalglatter europäischer Mafiamist, etwas, was er schon immer an seinem Cousin gehasst hatte. Er quälte sich vom Sessel hoch, ging hinüber zum Fenster und sah hinaus. Der Blick wies nach Südosten, erfasste den gesamten Verlauf der Küste. Unter ihnen floss der Yarra River, lagen die Gleisanlagen von Jolimont, lagen Parks und Gärten und dahinter endlose Reihen von Ziegeldächern. Von hier oben betrachtet erschien die Stadt aufregend und voller Versprechen. War man jedoch unten, fühlte man sich düpiert, das Leben reduziert auf kleine Enttäuschungen und hässliche Überraschungen, mit Wenigem, was das Auge erfreute. Nicht wie Sydney. Furneaux konnte sich vorstellen, nach Sydney zu ziehen. Er trug einen dreitausend Dollar teuren Anzug, doch neben Le Page kam er sich provinziell vor, als sei der Anzug aus der Mode und unangemessen sowieso. Derlei Gefühle vermittelte Le Page ihm häufig.
Als Furneaux zum
Weitere Kostenlose Bücher