Dirty
niemand fragte mich, warum.“
Wir schienen eine Ewigkeit lang nur dazustehen. Ein Schatten huschte über sein Gesicht. Ich legte die Hand auf den Türknauf hinter mir, drückte die Tür auf und trat ein. „Willst du mein Kinderzimmer sehen?“ Meine Worte klangen mehr nach einer Herausforderung als nach einer Einladung.
„Gern.“
Er folgte mir hinein. Verschiedene Gefühle spiegelten sich auf seinem Gesicht wider, während er sich in dem Zimmer umsah, das seit zehn Jahren unberührt geblieben war. Ich sah Interesse, dann Erkennen und Unbehagen. Aber es lag am Mitleid, dass mein Herz hart wurde.
„Rose?“, sagte Dan.
„Ja, Rosen.“
Ich hatte in einem Zimmer voller Rosen gelebt. Rosen auf den Vorhängen, auf der Tapete, auf dem Bettüberwurf, auf den Kissen. Große rote Rosen wie aus einem Märchen, nur hatten die Dornen nicht gereicht, um die Monster aus diesem Zimmer fernzuhalten.
„Es gab auch einen Teppic?“, sagte ich kühl. „Aber der bekam Flecken. Vermutlich hat sie ihn weggeworfen.“
„Elle …“
„Du kannst mich Ella nennen.“ Meine Stimme klang wie Steine, die gegen eine Fensterscheibe geschleudert werden. „Das tun sie alle. Oder Elspeth, wenn du magst. Das ist mein eigentlicher Name.“
„Der ist hübsc?“, sagte er und trat auf mich zu, als ob er mich in den Arm nehmen wollte. Doch ich wich ihm aus. „Ich nenne dich so, wie du es gerne hättest.“
Er musterte meine Puppensammlung und die Holzpferdchen auf den Regalen. Meinen Schreibtisch. Meinen Schrank, in dem er vielleicht meine zertanzten Ballettschuhe hätte finden können.
„Was ist mit ihm geschehen? Mit dem Jungen auf den Fotos, meine ich?“
Ich glaube, er wusste es bereits, aber er wollte meine Antwort hören. Vielleicht hoffte er, dass sie anders lautete. Vielleicht hoffte er, dass ich lügen würde. Und vielleicht hätte ich das tun sollen, nur war ich es so leid, zu lügen, so leid, mich ständig hinter einer Mauer zu verbergen.
„Ich habe dir bereits erzählt, was mit ihm geschehen is?“, sagte ich tonlos. „Er schnitt sich die Pulsadern auf und verblutete, während ich von der Türschwelle aus zusah. Er ist tot.“
18. KAPITEL
Ich wartete gar nicht erst auf seine Reaktion. Denn inzwischen hatte ich das Gefühl, dass meine Blase jeden Moment explodieren würde, außerdem glaubte ich, mich übergeben zu müssen. Ich drängte mich an ihm vorbei und schloss mich im Badezimmer ein. Ich schaffte es, nicht zu brechen, indem ich wieder und wieder Zahlen multiplizierte. Das Badezimmer war einmal weiß gewesen, aber offenbar ist es nicht möglich, Blut aus Handtüchern und Vorhängen zu entfernen. Meine Mutter hatte sich inzwischen für die Farbe Dunkelblau entschieden. Auf der Tapete prangten Segelschiffe statt der Stiefmütterchen. Ich berührte die hübschen kleinen Schiffe und zählte sie. Wenn ich die Tapete ablöste, würde ich dann noch Blutspuren darunter finden? Oder hatte sie die Wände vorher getüncht?
„Elle?“ Es wurde am Türknauf gerüttelt. „Lass mich rein. Bitte?“
Ich holte tief Luft. „Dan, bitte geh weg.“
Stille. Ich wusch meine Hände, schrubbte jeden einzelnen Finger mit der Bürste, wieder und wieder. Dann ging ich zur Tür. „Dan?“ Ich wusste, dass er noch da war, aber ich rief ihn trotzdem. Ich stellte mir vor, dass er an der gegenüberliegenden Wand lehnte, und ich legte die Hand flach auf das Holz, als ob ich ihn dadurch berühren könnte. Dann presste ich mit geschlossenen Augen die Stirn dagegen.
„Ich bin noch da.“
Ich schluckte schwer. „Bitte, ich möchte, dass du weggehst.“
„Ach Elle.“ Er fragte nicht, warum.
Ich wollte es ihm nicht sagen. Was hätte ich auch sagen können? Dass es leichter war, die Scham allein zu ertragen? Dass es im Moment nicht möglich war, ihm ins Gesicht zu sehen und zu wissen, dass er wusste, was geschehen war?
„Du willst nicht, dass ich dich allein lasse.“ Die Festigkeit in seiner Stimme war tröstlich und würde mich zum Einknicken bringen, wenn ich es zuließe.
„Das funktioniert diesmal nicht. Ich möchte, dass du gehst. Du musst einfach gehen, Dan.“
Er seufzte laut. Dann hörte ich das Klimpern von Schlüsseln. „Ich will nicht gehen, Elle. Warum lässt du mich nicht einfach rein? Wir müssen nicht darüber sprechen, wenn du nicht magst …“
„Nein!“ Mein Schrei hallte von den Wänden wider, und ich zuckte zusammen. „Nein, ich meine es ernst. Ich will, dass du gehst! Ich muss jetzt allein
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