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Diverses - Geschichten

Diverses - Geschichten

Titel: Diverses - Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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vorwärts. Weder wollte er das Unbekannte, das ihn beunruhigte, ausrotten, noch vor ihm fliehen.
    Sich mutig dem Neuen in den Weg stellen, von der Gefahr zu kosten und einen fremden Weg zu beschreiten, das hatte sein Blut in Wallung gebracht, als er noch ein Mensch gewesen war. Als sein Herz pumpte und das Adrenalin in ihm tobte. Beinahe glaubte der Vampir auch jetzt das Adrenalin zu spüren, wie es sich seinen Weg durch vertrocknete Kanäle suchte.
    Er setzte sich wieder in Bewegung. Doch diesmal wich er dem Gestank nicht aus, er suchte ihn.
    Und er fand ihn. Die angstvollen Schreie seiner Gefährten klangen ihm in den Ohren, doch er weigerte sich, inne zu halten, beugte sich über das ärmliche Strohlager und sah in die großen, furchtsamen Augen, die aus dem hageren Gesicht hervortraten.
    Das Herz seines zukünftigen Opfers flatterte. Der Vampir hörte es wie einen kleinen Vogel in seinem hageren Brustkorb schlagen. Er roch das vergiftete Blut, fühlte, wie es in den Adern rollte, schwach und dennoch blieb es Blut. Der Vampir schnupperte. Und je stärker er sich konzentrierte, umso deutlicher empfing er die Süße des roten Saftes, nahmen seine Geruchsknospen den reinen, unverfälschten Geschmack unter dem Deckmantel des fauligen Eiters wahr.
    Da war er wieder, der Hunger. Seine Lust stieg, Wärme umfing ihn mit jedem Atemzug seines Opfers.
    Der Kranke blinzelte. Erschrocken, aber nicht ängstlich. Als wüsste er wie ihm geschah. Als habe er auf ihn gewartet.
    „Bist du der Tod?“, fragte er den Vampir. Der stockte noch vor dem letzten Kuss.
    „Nur, wenn du dir das wünscht“, antwortete er schließlich und sein Opfer schloss die Augen.
    „Nein“, sagte es. „Aber ich wusste, dass du zu mir kommst.“
    Die dünnen Lippen des Vampirs verzerrten sich zu einem Lächeln, bevor er sie auf die kalte, schweißnasse Haut presste. Der Gestank stieg ihm zu Kopf, verwirrte seine Sinne, und der Vampir klammerte sich an die süße Note, die ihm vertraut war, die sein Opfer immer noch ausströmte. Scharfe Zähne durchbrachen das Fleisch und der Vampir begann zu trinken. Er hatte nicht gewusst, wie durstig er gewesen war. Und als der erste warme Tropfen seine Zunge berührte, vergaß er, wovor er sich gefürchtet hatte. Das Blut schmeckte wie es schmecken sollte, reich und süß. Es pulsierte in seiner Kehle. Der Vampir atmete tief durch die Nase ein und erkannte den Geruch als das, was er von Anfang an gewesen war. Mit einem gierigen Laut trank er weiter, saugte den erschlaffenden Körper aus, bis der aus seinen Armen sank wie eine leere Hülle. Doch nicht wertlos, nicht vergebens gestorben. Der Vampir leckte sich die Lippen. Das war es, was gesucht hatte, was sie alle gesucht hatten. Die Seuche gab ihm, was er so lange vermisst hatte. Sie gab ihm das Leben zurück. Und mit dem Leben seinen Tod.

Jasmin
    Das Leben erscheint immer wieder seltsam, nicht zuletzt, weil es die merkwürdigsten Verbindungen erschafft. Auch wenn sich heutzutage niemand mehr über Altersunterschiede wundern sollte, so wird doch die Frau, die sich den jüngeren Mann angelt, vielleicht zu heiß beneidet, als dass ihr Verhalten Schule machte.
    Isabelle war eine erfolgreiche Frau. Sie kannte es nicht anders, aber war auch nicht eingebildet genug, um zu leugnen, dass ihr Erfolg in erster Linie mit ihrem Erbe zusammenhing. Ein guter Name schadete nie und schon gar nicht in ihrem Geschäft. Hatte ihr Vater als Parfümeur bereits Geschichte geschrieben, so war es ihr doch immerhin gelungen, trotz der schwierigen Wirtschaftslage, keine Verluste einzufahren. Vererbt wurde ihr nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Liebe zu den Düften und zur Erschaffung bemerkenswerter Kreationen. Ganz zu schweigen von der Liebe zu dem Glamour, der sie und ihre Profession umgab.
    Dennoch fehlte Isabelle das Wichtigste zu ihrem Glück. Von Tag zu Tag hörte sie ihre biologische Uhr lauter ticken und von Tag zu Tag sah sie sich weiter davon entfernt, einen Menschen zu finden, an den sie sich zu binden bereit sei.
    Dabei hatte sie nie viel auf die Meinung anderer gegeben. Die Blicke und Bemerkungen, die sie trafen, wann immer sie sich mit einem ihrer männlichen Models im Arm zeigte, erwiderte sie mit einem Lächeln. Auch als ihre Begleiter immer jünger wurden, wenigstens im Gegensatz zu ihr selbst. Isabell war sich durchaus darüber im Klaren, dass es der Neid war, der ihr die Kritik an ihren Beziehungen einbrachte. Und warum sollte sie nicht beneidet werden, wenn die

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