Diverses - Geschichten
verschwinden und wieder auftauchen. Lücken nutzte er, Haltlosigkeit, die ihm zum Vorteil geriet.
Viel Mühe war nicht vonnöten. Viel gehörte nicht dazu. Er griff zu, wenn ihn jemand verlockte, wenn er Hunger hatte, und ließ die Reste liegen, ohne dass es jemanden interessierte. Nicht in einem Maße interessierte, dass er sich darüber Sorgen zu machen hatte.
Bis der Duft auftauchte. Der strenge Beigeschmack, die neue Krankheit, die um sich griff. Die in rasender Eile durch das Land zog. Durch die Länder, denn der Vampir erweiterte sein Jagdgebiert. Dem Geruch zu entgehen war eine Sache. Die Ursache aufzuspüren eine andere.
Je weiter der Vampir dem Kontinent entfloh, in dem er den Duft zum ersten Mal bemerkt hatte, desto seltener fing er ihn auf. Fast begann er sich sicher zu fühlen. Doch die Zeit verging und die Seuche breitete sich aus. Der Vampir empfing den Geruch nun überall, egal wohin er floh. Ein beißender Geschmack bildete sich in seinem Mund, je öfter er auf einen Menschen traf, der sich infiziert hatte. Er wurde den Geschmack nicht mehr los. Die Welt verkleinerte sich. Fluglinien verbanden jeden Winkel mit dem anderen. Schiffe trugen den Duft von Kontinent zu Kontinent, bis niemand mehr verschont blieb.
Und der Vampir begann, sich verfolgt zu fühlen. Die Orte, an die er sich zurückziehen konnte, seine Verstecke schwanden dahin. Inzwischen glaubte er, den Geruch überall zu bemerken, fürchtete ihm nicht wieder entkommen zu können.
Sicher gab es immer noch andere Menschen, andere Opfer. Süß und verlockend duftende Exemplare, deren reines Blut seinen Hunger stillte. Doch konnte der Vampir nicht anders, als sich bei jedem Menschen, den er verfolgte, den er jagte, zu fragen, ob er den Keim bereits in sich trug, der seine Innereien vergiftete. Paranoia, so nannte er es selbst, ein Wahn, dem er unterlag, wenn er glaubte, die Warnung nicht rechtzeitig empfangen zu können. Seine feinen Sinne trogen ihn nie, schon immer hatte er sich auf sie verlassen. Es gab keinen Grund, sie jetzt anzuzweifeln.
Und doch fühlte er die Wellen des Giftes in der Atmosphäre. Eingesperrt in der einen Welt, die auch für ihn kein Entkommen bereithielt, wurde es schwieriger, dem Geruch aus dem Wege zu gehen. Er war überall. Und auch, wenn er ihn nicht spürte, so konnte er ihn doch erahnen. Allein das Wissen um seine Existenz quälte und verängstigte den Vampir auf eine neue, nie zuvor erlebte Weise.
Mit keiner anderen Woge zu vergleichen, die über Jahrhunderte die Massen an schwachen Menschen verschluckt hatte, traf dieser Duft einen Nerv, von dem der Vampir nicht gewusst hatte, dass er oder seinesgleichen ihn noch besaßen. Weder die Pest, noch Cholera, Typhus, Lepra oder die unzähligen anderen Schreckgespenste, vor der die Menschheit sich in Sicherheit zu bringen suchte, hatten ihn je derart beeinträchtigt.
Der Vampir war schlichtweg überfordert. Und während der wenigen Treffen, die ihn mit anderen Vampiren zusammenbrachten, bemerkte er, dass er mit seinen gemischten Emotionen nicht alleine stand. Kaum jemand sprach darüber. Die Vampire unterhielten sich ohnehin selten miteinander. Noch viel verschwiegener zeigten sie sich, wenn etwas sie beunruhigte. Und doch spürte jeder von ihnen die Bedrohung, sei es, dass sie auch nur in dem tiefen Bedürfnis bestand, sich von dem Duft fernzuhalten.
Selbstverständlich besaß jeder von ihnen die Möglichkeit, gefahrlos die neue Blutsorte zu testen. Zumindest glaubten sie, dass keine Gefahr bestünde. Wenn ihnen keine andere Seuche etwas anhaben konnte, kein Schmerz, der den Menschen qualvoll dahinsiechen ließ, sich über sein Blut auf einen unzerstörbaren Vampir übertrug, so sollte auch eine neue Entartung des für ihre toten Körper überlebenswichtigen Saftes, keinen Schaden bringen.
Und doch beschlich den Vampir, je länger und gründlicher er sich mit der Frage auseinandersetzte, je intensiver er in den Gehirnen der Seinen forschte, eine namenlose Furcht. Ein Unbehagen, das sich steigerte, als sich die Überzeugung herauskristallisierte, dass keiner von ihnen jemals von dem Blut derer gekostet hatte, die den Duft verströmten. Es existierten keine Daten, niemand wusste Genaues, niemand wagte es, Forschungen anzustellen.
Die Angst, die er verspürte, Angst vor dem Unbekannten, die Vampire teilten sie. Der Geruch der Seuche stieß sie ab und vor die Wahl gestellt, zogen sie sich vor ihr zurück. Sie griffen nach den Menschen, deren Geschmack sie kannten,
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