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Diverses - Geschichten

Diverses - Geschichten

Titel: Diverses - Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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deren Duft unbefleckt und gewohnt in ihre Nasen drang. Das stechende Aroma der Infizierten hielt jeden einzelnen ab, sich sein Opfer unter den Erkrankten zu suchen.
    Gut, dass sie wenige waren. Gut, dass es ihnen nicht schwer fiel, sich aus dem Weg zu gehen und ihre Jagdgebiete auszudehnen. Schwieriger wurde es, doch nicht unmöglich. Immer noch fanden sich Zentren der Gewalt, die unbelastet blieben von übermäßiger Kontrolle. Zentren, die wie geschaffen waren, um sich an ihnen gütlich zu tun, um die Zähne in williges Fleisch zu schlagen, bis der letzte Atemzug gehaucht war. Auch wenn die Krankheit überall bestand, so fanden sich immer Exemplare vertrauter Konsistenz und Ausdünstung zwischen den wandelnden, stinkenden Leichen.
    Den Vampiren war Schuld fremd, es spielte keine Rolle, dass sie die letzten resistenten Exemplare aus einem Moloch der Verdammnis zerrten. Die Welt war immer noch unüberschaubar groß, eine Festtafel, auf der sie selbst neben vielen Seuchen Platz fänden.
    Sie sahen zu, wie die Krankheit Menschen dahinraffte, andere geboren wurden. Die Gattung auszurotten schien schon immer unmöglich. Keine Kraft, der sie sich bewusst waren, hatte jemals vermocht, ihr einen größeren Schaden zuzufügen, als sie selbst imstande wären. Letztendlich trugen die Vampire selbst auch kein Interesse daran, die Menschheit zu vernichten. Ebenso wenig wie die Seuche davon profitieren sollte, sich ihren eigenen Nährboden zu zerstören.
    Wenn der Vampir darüber nachdachte, so fragte er sich, ob die Seuche vielleicht eine ähnliche Liebe zu den Menschen verband, wie er sie in sich trug. Eine Liebe, die nicht nur von dem köstlichen Geschmack herrührte, mit dem sie ihn verlockte, der seinen Mund und seine Nase zu füllen imstande war wie nichts Vergleichbares, und die zu dem Kostbarsten gehörte, dessen er sich entsinnen konnte. Vielleicht lag darin der Grund. Vielleicht verlieh die Krankheit den Menschen ihren stechenden, beißenden Geruch, um sie damit für sich zu behalten, um sicher zu stellen, dass keiner von ihnen, keiner, der sich auf die profane und schlicht brutale Art der Vampire von den Menschen ernährte, sie für sich beanspruchte. Als versuchte die Seuche den Mensch, der sie befiel nicht nur zu vergiften und ihm das Leben zu rauben, sondern auch noch daran zu hindern, dass ein übernatürliches Wesen an seiner Lebenskraft sauge.
    Der Vampir wanderte durch die Nacht. War es wirklich so unklug, so unvorsichtig, den eigenen Instinkten zuwider zu handeln, wie die anderen ihm klarzumachen suchten?
    Er empfing ihre Gefühle, ihre Gedanken, vernahm ihre Warnung so deutlich, als gingen sie direkt neben ihm. Und doch war er nicht bereit, auf sie zu hören. Es war leicht, ihre Stimmen auszublenden, leichter noch, da er die vergangenen Jahrhunderte nichts anderes getan hatte. Er wollte nicht glauben, dass eine vage Bedrohung alleine ausreichte, um seinesgleichen wie eine Schar aufgeschreckte Schafe zusammenzutreiben. Dass der Gestank genug war, ein starkes, unverwundbares Geschlecht in Angst und Schrecken zu versetzen, dazu zu bringen, ihre natürliche Sehnsucht nach Einsamkeit aufzugeben um gemeinsame Zuflucht zu suchen.
    Der Vampir hatte nicht vor, ein Teil dieser Farce zu werden. Und er hatte nicht vor, noch länger dabei zuzusehen, wie die Welt sich in einen stinkenden, üblen Ort verwandelte, die ihm seinen Lebensraum nahm. Wenn es nicht anders ging, dann sorgte er selbst für die Ausrottung der Seuche. Wenn es sein musste, dann würde er jeden Infizierten töten und die Überlebenden dazu bringen, ihre gesunden Blutlinien fortzuführen.
    Doch was wenn nicht? Der Vampir blieb stehen. Handelte es sich nicht um ein Zeichen von Schwäche, wenn er es zuließ, dass ein einfacher Geruch ihn abstieß? Ein Duft, der nicht mehr war als Luft, flüchtig und vergänglich. So ganz anders als er selbst, dem nichts und niemand je etwas anhaben konnte.
    War es nur das Unbekannte, was sie alle fürchteten? Lag ihre Angst darin begründet, dass sie nicht wussten, wie es sich auswirkte, sollte einer von ihnen über die Grenze treten, sollte wider seine Gefühle handeln.
    Der Vampir straffte seine hagere Gestalt. Vor langer Zeit schon hatte er aufgehört zu kämpfen, doch das bedeutete nicht, dass er es vergessen hatte. Er erinnerte sich daran, wie es sich anfühlte, sich selbst zu überwinden. Dem Bedürfnis zuwider zu handeln, der Verlockung zu widerstehen, um einen Schritt vorwärts zu wagen.
    Es war soweit, er ginge

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