DJ Westradio
lag auch an den zahlreichen Sachspenden westdeutscher Kirchgemeinden, vor allem an schicken Türklinken, Duscharmaturen und anderen Dingen, an denen in der DDR absoluter Mangel herrschte.
Anders im Betriebsferienlager, wo wir den ganzen Tag spielten oder wanderten, boten Rüstzeiten vor allem geistige Erbauung. So beschäftigten wir uns vormittags meistens mit einer Textstelle aus der Bibel, was sich trotz anfänglicher Vorbehalte meinerseits als wirklich interessant entpuppte. Man darf sich das jetzt nicht trocken wie ein Seminar in der Uni vorstellen, sondern wir machten da schöne, kreative Sachen, führten kleine Theaterstücke auf, malten Bilder, dachten uns Geschichten aus. Alles war relativ offen und zwanglos und nicht DDR-typisch durchorganisiert. Der die Rüstzeit leitende Pfarrer Frieder Badstübner, ein freundlicher und geduldiger Mittdreißiger mit langen Haaren, begann die Vorstellung des Tagesplanes immer mit: »Ich möchte euch einladen.« Das fand ich sehr nett, und wir folgtenseinen Einladungen somit gern. Und natürlich blieben in der Freizeit auch die Ferienlager-typischen Liebeleien nicht aus, was die Zeit noch spannender machte. Nach 14 Tagen »Schwarzenshof« waren wir jedenfalls wieder einigermaßen »gerüstet«, um in den DDR-Alltag zurückzukehren. Nur die Herbert-Grönemeyer-Songs blieben einem lästig lange in den Ohren kleben.
Kassettenrekorder
In den Kinderzimmern herrschte Stille, seitdem wir nicht mehr lautstark mit Winnetou durch die Prärie ritten und Banditen jagten. Diese Stille war so bedrükkend, das etwas Neues hermußte. Etwas, das von nun an dein dich unterhaltender treuer Begleiter sein würde, mit dir Liebesbriefe immer und immer wieder lesen, die ersten vorsichtigen Erkundungen unter dem T-Shirt deiner Freundin begleiten und einige Zeit später die schweren, düsteren Stunden des Liebeskummers mit dir durchstehen würde. Etwas, das dir alle Fragen des Lebens innerhalb von dreieinhalb Minuten beantworten konnte. Unsere Eltern lasen noch Bücher, um in die Weisheiten des Lebens einzutauchen. Wir brauchten dafür nur einen Kassettenrekorder.
Wer Glück hatte, konnte den seiner älteren Geschwister mitbenutzen, um sich erste Tapes mit seinen Lieblingsliedern zu überspielen. Wer Pech hatte, mußte sich seinen mit den jüngeren Geschwistern teilen. Mit einem Rekorder konnte man sich seine Lieblingslieder endlich pausenlos anhören und mußte nicht stundenlang vor dem Radio sitzen, in der Hoffnung, daß seine Favoriten gespielt würden. Außerdem waren nun ausgiebige Textstudien der englischsprachigen Songs möglich. Nicht etwa, um den Sinn zu verstehen, sondern um textsicher mitsingen zu können. Das war auf Schuldiscos enorm wichtig, wenn man zeigen wollte, daß man Bescheid wußte und ein echter Fan war.
Zunächst spielte es keine Rolle, ob man einen Rekorder von drüben oder von hier hatte. Das wichtigste war, daß man überhaupt einen hatte. Denn wenn man keine Hitparaden im Westradio mithörte, konnte man in der Schule nicht mitreden. Das zweitwichtigste war, daß es ein Stereokassettenrekorder war. Stereo war wichtig. Ganz wichtig, denn Stereo klang viel cooler.
Nach Schulschluß traf man sich nun nicht mehr, um Cowboys und Indianer zu spielen, sondern man überspielte Musik. Dazu schnappte man sich seinen Rekorder und ging zu seinen Kumpels. Das Überspielkabel wurde angeschlossen, und so konnte man sich all die Lieder besorgen, die man bei den Radio-Hitparaden verpaßt hatte. Das konnte vorkommen, wenn man mit den Eltern das Wochenende im Garten verbringen mußte oder der Radioempfang gestört wurde, weil jemand im Haus mit einer nicht entstörten Bohrmaschine die Aufnahme versaut hatte.
Die meisten von uns bekamen ihren ersten Kassettenrekorder 1986 zur Jugendweihe. Da schmiß die Verwandtschaft immer mit Geld um sich. Geld brauchte man in der DDR für einen Rekorder reichlich, denn die waren furchtbar teuer – wenn auch optisch nicht sehr auf der Höhe der Zeit. Besser waren die dran, die sich eine der trendigeren Kisten von der Westverwandtschaft im Intershop kaufen ließen. An der Jugendweihe unserer Klasse nahm ich zwar auch teil – ich wollte schließlich die Statistik und meine Lehrer nicht enttäuschen –, den Geld- und Geschenkeregen hob ich mir hingegen noch ein paar Wochen für meine Konfirmation auf. Dafür hatte sich das Warten dann aber auch gelohnt. Ich bekam einen nagelneuen Sharp-Stereoradiorekordergeschenkt! Länglich, schwarz, eckig und mit
Weitere Kostenlose Bücher