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DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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Zelebrieren vermeintlich okkulter Rituale nicht attraktiv. Das war uns zu kraß. Und mit dem Satanskult, den einige Gruftis als Ersatzreligion für sich annahmen, hatte ich aufgrund meiner christlichen Sozialisation sowieso entschiedene Probleme. Gruftis waren außerdem viel zu destruktiv, vor allem gegenüber sich selbst. Man erzählte sich, daß sie Spee-Cola tranken, also Waschpulver und Cola gemixt. Das klang überhaupt nicht lecker. Und die ganz Verzweifelten schnüffelten den berühmten DDR-Fleckentferner »Nuth«, den man für 50 Pfennige die Flasche in Drogerien bekam. Das Zeug haute so rein, daß man beim »Nuthen« nach wenigen Minuten Hubschrauber hörte, die einem dann unablässig um den Kopf kreisten, während die Dämpfe das Gehirn auffraßen. Da war ja die Realität noch besser zu ertragen.
    New Wave hatte auch etwas Subtiles. Mario, ein Leipziger Waver mit wild auftoupierten Haaren à la Robert Smith von The Cure wurde eines Tages von einem Volkspolizisten angehalten: »Du bist eine Distel im sozialistischen Rosengarten«, bekam Mario zu hören. Jetzt wollten wir auch kleine Disteln sein.
    Wir hörten nun hauptsächlich Depeche Mode, Joy Division, Sisters of Mercy und The Cure. Eigentlich waren das eher die Kommerzbands des New Wave, die jeder kannte, aber an die Musik der etwas kultigeren, weil unbekannteren Bands kamen wir aufgrund fehlender Kontakte nur allmählich heran. Eine ebenfalls wahnsinnig wichtige Band waren für uns Die Ärzte. Diese liebten wir vor allem deshalb, weil man ihre deutschsprachigen Songs so schön lautstark nachsingen konnte, wenn man in der Clique unterwegs war. Außerdem hatten wir in der Klasse einen begabten Pianisten, der uns in den Pausen vor dem Musikunterricht am Klavier dazu begleitete. Wir sangen unter den Ohren unserer ahnungslosen Lehrer dann solche Songs wie »Geschwisterliebe« und »Claudia hat ’nen Schäferhund«, Lieder, die drüben von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften auf den Index gesetzt worden waren und deshalb selbst auf Live-Konzerten der Ärzte nicht gesungen werden durften. Wir hatten Glück, kein Lehrer bekam den tieferen, überhaupt nicht jugendfreien Sinn der Songs mit, und wir fühlten uns großartig. Manchmal war der halbe Flur vor dem Musikzimmer von Schülern blockiert, die uns zuhören wollten. »Singt ihr heute wieder?« riefen uns hier und da die Kids zu. Da wußten wir: Wir waren auf dem besten Wege, cool zu sein – yeah!

Die Clique
    1987 feierte Berlin seinen 750jährigen Geburtstag. Die Ostberliner freuten sich. Aus der ganzen DDR wurden Bauarbeiter in die Hauptstadt »delegiert«, um sie noch schöner zu machen. Ostberlin wurde herausgeputzt, der Rest der DDR verfiel weiter. Ein gewisser Unmut machte sich deswegen unter Teilen der Bevölkerung breit, der sich folgendermaßen Luft verschaffte: Viele, die in Städten lebten, die älter waren als Berlin, schmückten ihre Autos mit entsprechenden Hinweisen. So las ich in diesem Jahr an Trabbis und Ladas immer wieder den Spruch »822 Jahre Leipzig«.
    Doch auch bei uns gab es was zu feiern, wenn auch nicht so bombastisch wie in Ostberlin. Im Frühsommer 1987 fand wie alle Jahre auf unserem Schulhof das »Wohngebietsfest« statt. Eine Kegelbahn wurde aufgebaut, dazu ein Bratwurstgrill, Tische und Bänke, jede Menge billiges Bier. Es war ein Treffen der Generationen, wenn auch – vorsichtig ausgedrückt – die Intellektuellen aus dem Wohngebiet dieser Veranstaltung fernblieben. Thümi, Rüdi, Nauni und ich fanden es dort ausgesprochen kurzweilig. Man mußte nur zur vorgerückten Stunde einen Bogen um die besoffenen Halbstarken machen, aber hier kannte ja schließlich jeder jeden.
    In diesem Jahr trafen wir drei Jungs, die klamottenmäßig genauso rumrannten wie wir. Das fanden wir toll, denn wir kannten außerhalb unserer Schule kaum Leute,die so unterwegs waren wie wir. Natürlich quatschte man sich an. Die Jungs nannten sich »U.S.A.«, was sie aus ihren Vornamen Uwe, Stefan, André kreiert hatten. Dabei hatten sie noch viel bessere Spitznamen: Nobi, Triebi und Pyro. Alle drei waren ähnlich schlank und kaum über 1,75 Meter groß, genau wie wir. Wir paßten perfekt zusammen. Stefan, »Triebi«, hatte mit seinen nach hinten gegelten Haaren fast etwas Dandyhaftes, soweit man so was einem 14jährigen zuschreiben kann. Er erinnerte mich sofort an die beiden Typen von Tears for Fears. Außerdem trug er immer ein kleines Köfferchen aus Großvaters Zeiten mit sich

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