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DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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vielen silbernen Tasten. Freunde meiner Eltern aus der Schweiz hatten das Teil geschickt. Das definitiv wichtigste Geschenk, das ich in meiner DDR-Zeit bekommen habe. Und der absolute Oberhammer war:
    DOPPELKASSETTENDECK! Meine Eintrittskarte in den Olymp des Teenagerdaseins. Die Ausrüstung war komplett.
    Etwa zeitgleich hatten wir uns alle ein oder zwei Lieblingsbands ausgesucht. Lieblingsbands waren von nun an das Wichtigste überhaupt, denn nur so konnte man neue Freunde finden oder Leute mit dem falschen Musikgeschmack kurzerhand meiden, weil man sich nichts mehr zu sagen hatte. Andere definierten ihr Dasein über Fußballvereine, wir über Bands. Nauni und ich hatten uns bereits Ende 1984 für Depeche Mode entschieden. Natürlich, weil uns die Songs gut gefielen und wir außerdem via Video-Clips aus dem Westfernsehen gleich eine komplette Outfit- und Tanzanleitung mitbekamen. Thümi war zunächst am Deutschrock hängengeblieben, er stand auf Herbert Grönemeyer und schließlich auch auf Nena, bis wir uns einige Zeit später über The Cure und Punkrock wieder prima verstanden. Rüdi entschied sich aus dem umfangreichen Angebot für Erasure, also auch Synthie-Pop, ähnlich wie Depeche Mode.
    Nachdem nun alle mit Lieblingsbands versorgt waren, brauchte man natürlich deren LPs, denn einzelne Songs aus dem Radio reichten nicht mehr. Doch da fingen die Probleme an. In der DDR gab es keine Platten von Weststars zu kaufen, maximal einige wenige im Intershop, aber das dortige Angebot stimmte nicht mitunseren Hitlisten überein. Die paar bei uns hergestellten Lizenzplatten westlicher Stars waren nicht nach unserem Geschmack, sie hinkten mehrere Jahre hinterher. Wer konnte, wünschte sich von seinen Westomis Schallplatten. Das brachte diese wiederum ins Schwitzen. Versucht mal, der älteren Verwandtschaft zu erklären, was man sich für Platten wünscht und wie man diese neumodischen Bands ausspricht. »Udo Jürgens« wäre kein Problem gewesen, aber »Eurythmics« war um einiges komplizierter.
    Hatte man die Original-Platte einer angesagten Band bekommen, stieg schlagartig die eigene Popularität in der gesamten Schule quer durch alle Klassenstufen. Neue Platten in Privatbesitz sprachen sich schnell rum. Auf dem Schulhof wurde man dann von den ganz Coolen aus der 10. Klasse angesprochen, weil diese höflich fragten, ob sie sich von dir die LP überspielen dürften. Bislang hatten diese Leute standesgemäß die Jüngeren immer ignoriert, aber nun lernte man als Jüngerer »wichtige« Leute kennen. Die Rekorder liefen heiß, und mit einigen wenigen Original-LPs wurden so ganze Stadtviertel mit neuer Musik versorgt. Die Eltern hatten meist einen Plattenspieler, deshalb brauchte man nur wieder das unverzichtbare Überspielkabel, um diese Scheiben auf Kassette zu bekommen.
    Es entwickelte sich ein reger Tauschverkehr mit Musik, auch mit Aufnahmen bereits überspielter Platten. Wichtig war es hierbei, Leute zu kennen, die sich ihre Sachen direkt von den Original-LPs überspielen konnten. Erwischte man die fünfte Überspielung von Tape zu Tape, hatte man nur noch Rauschen auf der eigenen Kassette.
    Bei diesen Tauschgeschäften gab es aber auch eine kleine Avantgarde, die mit den Aufnahmen eher unbekannter westlicher Independent-Bands geizte. Man wollte diesen schwer erkämpften Schatz nicht rausschmeißen wie Konfetti. Je unbekannter die Band war, desto ideell wertvoller die Aufnahme. Wurde man vom Gralshüter als »nicht Fan genug« eingestuft, gab es diese Aufnahme nicht. Punkt. Anders sah die Sache aus, wenn man ebenfalls seltene Aufnahmen besaß, die der Gralshüter wiederum brauchte. Dann standen einem die Tore offen.
    Wer nicht über die nötigen Kontakte verfügte, für den gab es als Trostpflaster im DDR-Radio die Sendung »Duett. Musik für den Recorder«. Hier liefen wöchentlich komplette Alben über den Äther, zum Teil auch von einigermaßen angesagten Westbands.
    So kam man im großen und ganzen an jede Platte ran, die man suchte, wenn auch manchmal mit zeitlicher Verzögerung. Irgend jemand kannte immer irgend jemanden, der einem die begehrten Aufnahmen besorgen konnte. Womit wir beim nächsten Problem wären: das Aufnahmemedium Kassette. Es gab zwar in der DDR Kassetten zu kaufen, aber sie waren schweineteuer, und es gab nur welche mit 60 Minuten Spiellänge. Eine LP hatte aber in der Regel knapp 45 Minuten. Eine LP auf eine 60er Kassette zu überspielen war Bandverschwendung. Auf eine 90er paßten hingegen

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