Djihad Paradise: Roman (German Edition)
uns sprachen Paschtun und erzählten, was passiert war, und so erfuhren wir, dass kurz nach dem Angriff zwei Männer aufgebrochen waren, um Hilfe zu holen. Und so blieb uns nichts anderes übrig, als mit den Dorfbewohnern zu warten. Man hatte ihre Leithammel in die Luft gesprengt und die Gotteskrieger waren nichts als eine Herde verstörter Schafe.
Ich wurde wieder froh. Na ja, fast wurde ich wieder froh. Den Schulstoff hatte ich nach ein paar Wochen aufgeholt und stand jetzt kurz vor dem Abi.
Meine Familie übte sich in Toleranz und versuchte, mich zu verstehen. Und manchmal hatte ich das Gefühl, dass es ihr gelang, und manchmal nicht. Ich hatte neue Freunde gefunden und wir tauschten uns aus über die Gedanken, die wir über den Koran hatten, und das war wirklich inspirierend. Und trotzdem war da noch was. So ein Stich, tief in mir. Und dieser Stich, das war Julian. Ich versuchte wirklich, ihn zu verdrängen, aber so richtig schaffte ich es nicht.
Wir waren eine Clique aus zwei Mädchen und drei Jungs. Riyaz, Ali, Kemal, Yasemin und ich.
»Irgendwas bedrückt dich doch?«, fragte Kemal eines Tages. Wir saßen am Strandbad des Tegeler Sees und ich hatte die ganze Zeit daran denken müssen, wie es war, als ich mit Julian hier gewesen war. Das machte mich traurig. Und dass mich das traurig machte, machte mich wütend.
»Ach, es ist nichts«, sagte ich.
»Glaub ich nicht«, sagte Yasemin.
Ich ließ einen Stein über das Wasser springen. Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust, mit ihnen darüber zu reden, aber andererseits – waren Freunde nicht gerade deshalb Freunde, weil man ihnen solche Dinge anvertrauen konnte?
Ich hockte mich in den Sand. »Es ist wegen meinem Ex. Es gibt keinen Grund, noch an ihn zu denken, aber trotzdem mache ich mir Sorgen«, sagte ich und seufzte.
Yasemin, der ich mal die ganze Geschichte, na ja, fast die ganze Geschichte, erzählt hatte, fuhr mich gleich an: »Wie kannst du noch an ihn denken, nach allem, was er dir angetan hat??«
Irgendwie ärgerte mich ihre Reaktion. »Wieso ›nach allem, was er mir angetan hat‹? Wir sind ein Mal aneinandergeraten und dann bin ich weg.«
»Und? Dass er dich ein Mal geschlagen hat, das reicht für ein ganzes Leben! An deiner Stelle hätte ich ihn sofort vergessen. Ich versteh dich nicht. Warum machst du dir denn noch Sorgen um ihn?«
»Weil er zum Gotteskrieger werden will.«
Alle schienen für einen Augenblick den Atem angehalten zu haben.
»Warum hast du uns das noch nie erzählt?«
Ich schwieg einen Moment. Dann sagte ich: »Weil … weil ich es selbst nicht glauben konnte. Diese ganze Zeit in der Bruderschaft, das kommt mir irgendwie wie ein böser Traum vor, wie etwas, das einer anderen geschehen ist und nicht mir.«
Und irgendwie war es ja auch einer anderen geschehen. Nicht Romea hatte das erlebt, sondern Shania. Aber Shania gab es zum Glück nicht mehr. Trotzdem fragte ich mich nun, wer ich überhaupt war. Ob ich wieder Romea war oder Romea 2.0 oder irgendwer ganz anderes.
»Also, ich kann gut verstehen, dass du dir Sorgen machst«, sagte Kemal auf einmal und die anderen sahen ihn erstaunt an.
»Ich hatte auch mal einen Freund, der in die extreme Salafistenecke geraten ist. Der war irgendwann überhaupt nicht mehr er selbst. Aus einem netten Kerl ist innerhalb von wenigen Monaten ein ekelhafter, selbstgerechter Eiferer geworden, der so schnell wie möglich ins Paradies kommen wollte. Das war echt krass.«
Betreten schwiegen wir vor uns hin.
»Aber«, fuhr Kemal fort, »vielleicht kannst du ihn irgendwie da rausholen?«
»Wie denn? Vermutlich ist er irgendwo in Pakistan.«
»Mein Kumpel war auch mal in so einem Camp. Die Versorgung in den Camps ist ganz allgemein beschissen. Ich hab ihm mal Geld geschickt. Mit Western Union.«
Toll. Was dachte sich Kemal? Sollte ich Julian Geld schicken, oder was? Damit ich sein Möchtegern-Terroristentum auch noch unterstützte?
»Was ist denn aus deinem Kumpel geworden?«
Kemal lachte. »Irgendwann kam er zurück und war völlig geläutert. Die haben ihn da wohl dermaßen in die Mangel genommen, dass er vom Kriegspielen so die Schnauze voll hatte, dass er Atheist geworden ist und inzwischen bei einer Bank arbeitet.«
Tja, so war vielleicht Kemals Kumpel drauf, aber wenn Julian sich mal zu was entschlossen hatte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass er so schnell lockerlassen würde.
Irgendwann wechselten wir dann das Thema und fuhren mit der letzten S-Bahn nach Hause.
Aber
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