Djihad Paradise: Roman (German Edition)
verehrte Lehrerschaft zusammen und informierte meine Eltern, und das, obwohl ich zu den Klausuren im Allgemeinen erschien und wirklich noch ganz, ganz lange nicht vom Durchfallen bedroht war. Dies wiederum führte aber dazu, dass meine Eltern nun doch anfingen, ziemlich durchzudrehen.
»Gib’s zu, du warst bei Julian!« Pa hatte zornig die Augenbrauen hochgezogen.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ja. Und?«
Pa ließ sich auf einen Sessel fallen und rieb sich die Stirn.
»Warum besuchst du ihn denn nicht wenigstens nach der Schule?«
Wenn ich jetzt gesagt hätte, weil ich nicht will, dass mein Freund so ein bekloppter Salafist wird wie Murat, dann wäre Pa noch völlig durchgedreht und hätte mich schon mit Bomben im Slip gesehen, und deshalb wusste ich nicht, was ich ihm antworten sollte, und zuckte einfach noch einmal mit den Schultern.
»Jetzt zuck gefälligst nicht immer nur mit den Schultern, verdammt! Antworten. Ich will Antworten!« Pa wühlte weiter auf seiner hohen Stirn herum, als wolle er sich die Finger ins Hirn drücken. Auf einmal sprang er auf und schüttelte mich. »Was ist? Sag was!«
Ich entwand mich seinem Griff und sagte: »Was.«
»Romea? So kommen wir nicht weiter. Pass auf. Ich sag dir jetzt mal was und ich schwöre dir, es wird dir nicht gefallen. Wenn das mit dem Schuleschwänzen nicht aufhört, dann musst du ins Internat. Du weißt, wir sind kaum zu Hause und sind darauf angewiesen, dass unsere Kinder ein bisschen mehr Selbstverantwortung zeigen. Und wenn du die nicht hast, dann geht es nicht anders.« Daraufhin riss er mich an sich und drückte mich: »Und glaub bloß nicht, dass uns das leichtfällt.« Er seufzte. »Dann werden wir uns nämlich nur noch ganz selten sehen können.«
Ja, sicher. Weil wir jetzt ja auch ständig zusammengluckten.
»Haben wir uns verstanden, Romea?!«
Ich nickte und machte weiter wie bisher. Sorry, Mum. Sorry, Dad. Es geht wirklich nicht gegen euch, aber das hier ist viel zu kostbar, als dass ich die brave Tochter hätte spielen können. Ich hätte es euch echt gerne erklärt, aber das Dumme ist, dass ihr das nicht versteht und verdammt, ich lasse mir nicht verbieten, meinen Freund zu retten.
Es war ein echtes Glück, dass Murat bei mir eingezogen war. Nach dem Crash mit den »Gangsta’s Ghost« war er der einzige Freund, den ich noch hatte. Und Freund ist eigentlich noch zu wenig. Murat war mehr. Viel mehr. Er war fast so etwas Ähnliches wie ein Gesandter. Na ja, Gesandter – das ist vielleicht zu pathetisch, doch wie auch immer. Jedenfalls – Murat hatte, wonach ich gesucht hatte. Das war mir im Prinzip schon im Knast klar geworden, aber aus irgendwelchen Gründen, die ich selbst nicht kannte, hatte ich das für eine kurze Zeit wieder vergessen. Doch jetzt, wo er bei mir wohnte, konnte ich die Augen definitiv nicht mehr davor verschließen. Am Anfang hatte ich mich noch ein wenig geziert, wieder mit dem Gebet anzufangen. Aber dann, als ich wieder reinkam, wurde es fast zu einer Sucht. Es gab meinem Leben einen Sinn. Es gab meinem Leben eine Struktur. Und noch besser wurde es, als ich Murat mit in die »Salafiyya-Bruderschaft« begleitete. Murat hatte es ja versprochen: Es war dort wie in einer großen Familie und alle waren Brüder und Schwestern. Und der Imam dort war echt S-Klasse und das Beste war – er predigte auf Deutsch. Wenn er anfing zu sprechen, dann konnte man einfach nicht weghören. Seine erste Predigt werde ich nie vergessen.
»›Siehst du nicht, dass wir die Teufel wider die Ungläubigen ausgeschickt haben, um sie zur Sünde anzureizen?‹«, zitierte er aus der neunzehnten Sure. »Wir müssen uns jetzt die Frage stellen: Wer sind sie denn, die Teufel? Und: Wo sind sie? Die Frage nach dem Wo lässt sich ganz einfach beantworten: Sie sind überall. Aber wer sind sie? Die Teufel sind clever. Sie verstecken sich. Verstecken sich in dem, was die Menschen reizt, in dem, was sie haben wollen. Im Alkohol sind sie. Im zügellosen Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe. Drogen. Im Zinswesen. Also hütet euch vor ihnen. Im Koran, in der dritten Sure steht: ›Den Menschen wurde begehrliche Lust an Frauen und Kindern, Gold und Silber, edlen Viehherden und viel Ackerland eingepflanzt. Doch das alles hat nur für dieses Leben Wert, ewige schönste Stätte ist nur bei Allah.‹ Aber: Das Paradies ist nur für die Rechtgläubigen bestimmt, für die, wie es ebenfalls in Sure drei heißt: ›für die, welche in guten und bösen Zeiten Almosen
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