Djihad Paradise: Roman (German Edition)
hätte. Murat hatte sich mit aufgerissenen Augen an meinen Sitz geklammert. Dabei hatte er sogar seinen Rucksack losgelassen, der ihm auch gleich vom Schoß fiel. Den Fahrer schien das aber alles nicht weiter zu beeindrucken, denn er plauderte munter weiter.
»What are you doing here? Holidays?«
»No. We want to learn the real Islam«, sagte ich.
Der Fahrer nahm noch einen Schluck von seinem Stella und meinte: »The real Islam, hm?!« So, wie er es sagte, klang es nicht nach einer Frage, sondern eher wie eine Kritik. Plötzlich schien er schlechte Laune zu haben, denn auf einmal beschränkte er das Gespräch auf das Nötigste und fuhr wesentlich aggressiver als vorher. Scheinbar wollte er uns schnell loswerden.
Als er uns vor der Schule absetzte, stieg er nicht mal aus, um mir meinen Rucksack zu geben. Kaum hatte ich mein Gepäck in der Hand und die Klappe zugedrückt, preschte er grußlos davon.
Und da plusterte sich Murat auch schon auf. »Wo, bitte schön, sind wir denn hier gelandet? Hast du das gesehen? Dieser ganze Dreck auf den Straßen.«
»Mann, Murat! Benimm dich doch nicht so deutsch!«
»Was heißt hier deutsch? Ich bin Ägypter!«
»Ach? Wie war das gerade mit deutschem Pass und deutscher Mutter und ich will hier wieder weg?«
»Nein, nein! Ägypten ist schon meine Heimat. Irgendwie. Allein, dass mein Vater Ägypter ist, reicht ja wohl aus, dass das hier meine Heimat ist! Aber irgendwie ist sie völlig vom Weg abgekommen. Da haben sie hier das große Glück, von Anfang an in den Islam hineingeboren zu sein. Und was machen sie daraus? Hast du das vorhin mitgekriegt?«, ereiferte er sich. »Der Taxifahrer hat Bier getrunken. Am Steuer! Und das, während im Radio gerade die zweite Sure rezitiert wurde! Also, entweder war das ein Christ, einer von diesen verdammten Kopten, oder – und das wäre viel schlimmer – ein Moslem, der völlig vom rechten Weg abgekommen ist. Und: Er hat die Flasche mit der Linken gehalten!«
»Und?«
»Mann, weißt du das denn nicht?!? Nur der Teufel isst mit links.«
»Komm mal wieder runter, Murat!«
»Na, ist doch so.« Er hatte die Hände empört in die Seiten gestemmt. »Das kommt allein durch den schädlichen Einfluss des Westens. Ägypten muss wieder rein werden, inschallah!«
Ich verdrehte die Augen und deutete auf ein Gebäude.
»Das da muss die Schule sein.«
Besonders groß war sie nicht, unsere neue Schule. Nur zwei Stockwerke hoch. Und hier sollten wir auch schlafen? Wir betraten das Gebäude. Junge Männer, einige fast noch Kinder, und ein paar ältere Leute liefen geschäftig herum in Galabiyas, langen, kaftanartigen Gewändern, und Häkelmützen und dazwischen ein paar wenige mit T-Shirt und Jeans. Fast alle trugen einen mehr oder weniger langen Bart wie Murat und ich. Der jüngste Typ, den ich sah, war höchstens zwölf, aber er hatte die drei Haare, die seinem Kinn entsprossen, schon ordentlich lang wachsen lassen, und sie sahen aus wie angeklebt. Mit Händen, Füßen und Englisch fragten wir uns zum Schulleiter durch.
Er saß an seinem Schreibtisch und kritzelte eifrig irgendwas auf einen Zettel, neben ihm ein Flatscreen und ein hoher Stapel lässig aufgeschichteter Papiere. An allen Wänden windschiefe Regale voll mit Wörterbüchern, Infobroschüren und Koran-Auslegungen. Als wir eintraten, hob der Leiter seinen Kopf. Er lächelte freundlich und bedeutete uns mit einem Kopfnicken, dass wir auf den beiden Sesseln vor seinem Schreibtisch Platz nehmen sollten. Dann faltete er seine Hände so, dass sich nur die Fingerkuppen berührten.
»Ich bin Arif Ibn Asmi. Womit kann ich euch helfen?«, fragte er uns auf Englisch.
Wir erklärten, dass wir Arabisch lernen und den echten Islam kennenlernen wollten. Beim Stichwort »echter Islam« ging ein Leuchten über sein Gesicht.
»Ja, ja. Da seid ihr hier genau richtig. Nur hier wird der echte Islam gelehrt.« Sein Lächeln wurde noch breiter. Er ließ sich unsere Namen nennen und begann, den unordentlichen Aktenstapel nach unserer Anmeldung zu durchforsten.
»Ah, hier haben wir euch ja. Murat und Abdel. Wo ist Amir? Er sollte euch doch abholen?«
Murat und ich zuckten mit den Schultern. Ein kurzes Stirnrunzeln furchte Arif Ibn Asmis Stirn. Dann glättete sich sein Gesicht wieder. Der Schulleiter war um die fünfzig, klein und kugelig und wirkte wie ein freundlicher Frosch, was an den dicken Brillengläsern lag, durch die seine Augen aussahen, als würden sie ihm aus dem Kopf quellen.
»Drei Monate,
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