Djihad Paradise: Roman (German Edition)
dämliche Typ gewesen war. Ich kann das gar nicht erklären, aber mein altes Leben war inzwischen so weit weg. Ein ferner Albtraum. Mutsch war weg, aber das spielte keine Rolle mehr. Zumindest nicht wirklich. Aber ein wenig bedauerte ich, dass sie in die Hölle kommen würde. Doch dass sie ihren Mann und ihr Kind verlassen hatte, das wog nun einmal schwer vor den Augen Allahs, des Allmächtigen. Ab und zu dachte ich auch an Tom und ich betete, dass er sich fangen würde und nicht schon als Penner durch die Straßen zog. Vielleicht würde ich ihn eines Tages retten können, aber vorerst musste er alleine klarkommen.
Was ich hier hatte, das war ohnehin viel besser. Lauter Gleichgesinnte. Wir dachten alle so ziemlich genau das Gleiche. Und das war doch echt groß, oder? In welcher Familie gab es das schon? Und wir hielten zusammen, egal, was kommen würde, denn wir waren alle Brüder. Die Jungs aus der Schule, Omar, Samir, ich – wir waren ein seltsamer, zusammengewürfelter Haufen, aber irgendwie gehörten wir zusammen.
Außer mit Murat unterhielt ich mich am liebsten mit Samir, obwohl er eigentlich von allen, die ich kannte, der am wenigsten Gleichgesinnte war. Na ja, noch. Nicht dass ich Omar nicht mochte, im Gegenteil – aber er war ja kaum da. Entweder machte er noch sein halbes Dutzend Extragebete oder er verschwand zu irgendwelchen Treffen, über die er – so behauptete er wenigstens – nicht reden durfte.
Eines Abends saß ich mit Samir auf dem Sofa. Im Hintergrund lief »Frag den Imam«, aber wir hatten die Sendung auf lautlos gestellt.
»Sag mal, warum bist du eigentlich nicht schon längst konvertiert?«, fragte ich ihn.
Er blinzelte mich mit seinen rehbraunen Augen groß an und zuckte dann hilflos mit den Schultern. »Ich bin wohl noch nicht so weit«, sagte er bedrückt. »Und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich jemals so weit sein werde.«
»Schade. Ich würde mich echt freuen, wenn ich dich eines Tages im Paradies wiedersehen könnte«, sagte ich. Und ich war traurig. Wirklich traurig.
Wir schwiegen eine Weile vor uns hin.
»Hattest du ein gutes Verhältnis zu deiner Familie?«, fragte ich schließlich.
»Ja.« Er starrte vor sich hin und massierte geistesabwesend seinen Knöchel.
»Magst du mir ein wenig erzählen? … Na ja, nur, wenn es dir nichts ausmacht? Ich meine, in Deutschland kommt im Fernsehen und im Radio zwar ständig irgendwas über den Gazastreifen und das Westjordanland und dass die Hamas einen Terroranschlag verübt und Israel dann mit einem Vergeltungsschlag reagiert hat und dass immer und immer wieder Unschuldige getötet werden. Und die Spirale schraubt und schraubt sich. Immer höher. Immer weiter. Irgendwie klingt das alles immer sehr hoffnungslos.«
Samir seufzte. »Ja. Es ist auch hoffnungslos.«
»Und hasst du die Juden denn nicht?«, fragte ich.
Samir wand sich. »Die Juden sind nicht gleich Israel und umgekehrt.« Er setzte sich auf und sah mir in die Augen. »Weißt du, das ist alles sehr kompliziert. Ich war ja Christ. Und als Christ ist es auch nicht so einfach, sich in Gaza zurechtzufinden. Es gibt nur ganz wenige Christen dort. Irgendwie gehörst du nirgends so richtig dazu. Ich … ich habe nie nach außen gezeigt, dass ich Christ bin, habe immer so getan, als sei ich Moslem …«
»Alter! Das ist Schirk, einfach so zu tun, als wäre man ein Muslim!« Ich zwinkerte ihm zu. Er ging nicht darauf ein, sondern erzählte weiter.
»Na ja, und als meine Familie dann getötet wurde, kam ich bei Verwandten unter. Aber ich wollte da nicht leben. Sie haben alles hingenommen, weil sie es gewohnt sind, dass sie getreten werden. Von den Muslimen, weil sie eine Minderheit sind, und von den Israelis, weil sie eben zufällig in Gaza wohnen und keine Juden sind. Und unter der Hamas ist alles noch schlimmer geworden. Die versuchen nicht nur, Politik zu machen, sondern auch, die Gedanken der Leute zu kontrollieren. Und irgendwann habe ich es einfach nicht mehr ausgehalten. Ich dachte, wenn ich nicht sofort etwas tue, werde ich wahnsinnig. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich meine Familie vermisse. Meine Verwandten waren so apathisch, das war echt nicht zum Aushalten. Ich glaube, die haben nur noch auf den Tod gewartet. Ob nun durch die Israelis oder die Hamas, ich glaube, das war ihnen inzwischen scheißegal. Deswegen bin ich weg. Ich hatte zunächst überhaupt gar keinen Plan. Weg. Einfach nur weg. Rache. Alles in mir schrie nach Rache. Ihr jüdischen Schweine, das
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