Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen
Mittelmeer und die Karibik im Leben öfter zu Gesicht als die eigene Küste.«
»Zumindest, wenn man aus dem tiefsten Bayern kommt«, frotzelte Sina.
»Lass das mal keinen echten Franken hören. Der würde dich lynchen für diesen Frevel.«
Sina spielte die Empörte: »Na hör mal, ich bin eine echte Fränkin.«
»Zugereiste!«, feixte Gabi weiter.
Sina gab sich nicht geschlagen: »Das ist mehr als acht Jahre her. Inzwischen bin ich genauso eine echte Nürnbergerin, wie du es bist.«
Gabi beschleunigte den Schritt. »Einmal Zugereiste, immer Zugereiste. Du wirst nie eine wirkliche Fränkin sein.«
Sina machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ihr Franken seid wirklich ein ignorantes Pack! O. k., gut: Dann bleibt eben unter euch. Und überhaupt: Renn nicht so! Wir haben’s nicht eilig.«
Die andere offenbar doch: Gabi hielt geradewegs auf das Hafengelände zu. Eine überschaubare Anlage. Recht lang gezogen, aber bei Weitem nicht vergleichbar mit den Anlegestellen der größeren Küstenstädte. Abgesehen von ein paar Fischerbooten, die am Kai dümpelten, war nicht viel los. Gabi kannte den Hafen von Fotos aus alten Zeitungen. Auf den Bildern hatte es allerdings noch ganz anders ausgesehen. Dichte Reihen von NVA-Booten lagen an der Ufermauer, reichlich vergammelte Restbestände der früheren DDR-Marine. Inzwischen waren sie offenbar allesamt verkauft, verschenkt oder einfach verschrottet worden.
Sina, die bemerkte, dass ihre Freundin in Gedanken versunken war, stieß sie leicht an: »He, Madame! Aufwachen!«
»Ja, ja, kann man denn nicht mal eine Minute lang nachdenken?«
Sina meinte nein und ergriff die Initiative. Sie hakte Gabi ein und zog sie ans andere Ende des Hafenbeckens. Die frische Luft, der leichte Fischgeruch und der Wind wirkten auf sie anregend. »Herrlich! Ich glaube, für ein Leben am Meer wäre ich eher geschaffen als für die Großstadt im Binnenland.« Sina sog die Luft in tiefen Atemzügen ein. »War eine gute Idee von dir, einen kleinen Bummel hierher zu machen.«
Gabi nickte: »Und gerade habe ich noch eine gute Idee. Komm mit!«
Noch immer untergehakt, schlenderten sie die um diese Uhrzeit kaum mehr befahrenen Straßen entlang. Sie passierten eine Bahnstrecke, die auf die Frauen einen ebenso maroden Eindruck machte wie die Hafenanlage. Gerade rumpelte ein kurzer Güterzug an ihnen vorbei.
Wenig später erreichten sie ein baufälliges Gebäude. Hoch wie ein gewaltiges Silo und mit einem schmutzigen Grün überzogen wie jahrzehntealter Beton. Das hässliche Bauwerk war stark zerfallen. Offenbar hatte sich seit Ewigkeiten niemand mehr um diese Industriebrache gekümmert. Auch die Gebäude drum herum, offenbar verlassene Verwaltungsräume und Lagerhallen, gaben ein trostloses Bild ab. Von den meisten Gebäudeteilen standen nur noch Seitenwände und Fragmente von Zwischendecken. Hier und da ragte ein verloren wirkender Pfeiler aus dem Erdreich. Ähnlich wie der Wald vor der Ortseinfahrt war auch dieses Terrain umzäunt.
Missmutig blickte Sina sich um: »Ehrlich gesagt: Am Hafen hat’s mir besser gefallen. Wo sind wir hier?«
Gabi schmunzelte: »Diesmal habe ich mir den Begriff gemerkt. Sauerstoffwerk heißt dieses Ding. Zumindest hieß es mal so, als es noch funktionierte.«
Sinas Interesse war wieder geweckt: »Was? Das ist das Sauerstoffwerk? Mehr soll davon nicht übrig sein? In dieser Anlage wurde durch Luftverflüssigung der Flüssigsauerstoff hergestellt, der den Raketen als Oxidator diente. Darüber habe ich mal etwas gelesen: ein enorm aufwändiges Verfahren. Meine Güte – da müssen aber gewaltige Bombenmassen draufgeknallt sein. Ich schätze mal, dass zur Versorgung der Raketenbasen ein fünf- oder sechsmal so großer Komplex nötig gewesen ist. Das hier sind dann wohl die kümmerlichen Reste.«
Die Sonne hatte sich bereits tief in den Westen geneigt, doch Sina und Gabi hatten vom Frische-Luft-Tanken noch immer nicht die Nase voll. Sie hatten das Städtchen ein ganzes Stück hinter sich gelassen, als sie ein weiteres Trümmerfeld erreichten. Wie schon rund ums alte Sauerstoffwerk fanden sie auch hier nur unförmige Betonklumpen und Mauerreste mit dicken rostigen Stahlarmierungen vor. Über die steinernen Zeitzeugen hatte sich ein dichter Pelz aus Gras, Moos und Gestrüpp gelegt.
Sina ging in die Hocke und versuchte sich daran, ein rostrotes Stahlseil aus dem Boden zu ziehen. »Unsere Wirtin hat recht gehabt. Hier steht ja echt nix mehr. Deinen Bunker kannst du dir
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