Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen
vermochte es sich kaum vorzustellen, dass in dieser Einöde, die noch dazu weit ab von jeder bedeutenden Industrieregion lag, ein wichtiges Forschungszentrum existiert haben sollte.
»Das war ja der Trick«, begründete Sina. »Das Gelände war leicht abzuschirmen. Niemand hat hier damals die modernste Raketenentwicklungsanlage Europas vermutet. Hat den Nazis aber auf Dauer auch nichts genutzt. Die Engländer haben’s irgendwie spitzgekriegt und die ganze Insel mit einem Bombenteppich überzogen. Draufgegangen sind dabei aber nur die Arbeiter, die allerletzten im Glied. Arme Schweine. Die schlauen Köpfe aus der Raketenforschung sind, soviel ich weiß, nach dem Krieg in die Staaten rüber. Haben da die Mondrakete entwickelt. Wernher von Braun, Name schon mal gehört?«
Gabi warf ihr einen leicht pikierten Blick zu: »Also, ein bisschen Bildung habe selbst ich. Sogar in diesen, äh, technischen Dingen. Und außerdem fasst du die ganze Geschichte recht lax zusammen. Der von Braun hat seine Forschungsarbeit unter den Nazis meines Wissens nach ja nicht ganz freiwillig geleistet.«
Sinas Antwort fiel ausgesprochen scharf aus: »Was? Nicht freiwillig? Wer verbreitet denn diesen Käse?«
»Von Braun und die anderen Weltraumpioniere haben in der Zeit vor dem Krieg vom Mondflug und meinetwegen auch von einer Marsexpedition geträumt. Also von friedlichen Zielen. Sie wollten aber niemals Waffen bauen. Nicht freiwillig jedenfalls«, beharrte Gabriele.
»Natürlich hat er freiwillig mitgemacht«, hielt Sina dagegen. »Für ihn war das doch die Gelegenheit, seine Himmelsfantasien zu verwirklichen. Das ist ihm ja nicht einmal zu verdenken. Aber er hätte dafür nicht sein Gewissen verkaufen dürfen. Und gerade das hat er getan, Gabi. Oder denkst du allen Ernstes, dass von Braun nichts von den Gräueltaten der Nazis gewusst hat? Er hätte die Notbremse ziehen müssen. Er hätte nicht für diese Unmenschen arbeiten dürfen. Aber alles, was er tat, bestand darin, beide Augen ganz fest zuzudrücken. Bis zum Schluss. Bis 1945. Spricht nicht für einen Menschen mit hehren moralischen Ansprüchen, wenn du mich fragst.«
Die andere wollte sich damit nicht zufriedengeben: »Du unterschlägst, dass es die Raumfahrt ohne den Krieg bis heute wahrscheinlich gar nicht geben würde. Zumindest wäre sie erst viel später in Gang gekommen. Denn keiner hätte in friedlichen Zeiten Geld dafür ausgegeben.«
Die beiden erreichten das Gästehaus. Sina verzichtete darauf, ihrer Freundin abermals zu widersprechen, denn sie wollte ja in Frieden ihren Appetit stillen und dann ein Bier mir ihr trinken. Doch innerlich kochte sie.
12
Sina stand bei halb geöffneter Tür im Badezimmer und putzte sich die Zähne. Sie trug ein pinkfarbenes Schlafshirt, ihren Pagenkopf hielt sie mit einem Haarband locker zurück. Gabi – im weiten Morgenrock über ihrem Seidenpyjama – hatte ihre Haarpracht ebenfalls wieder mit einem Tuch gebändigt. Sie saß auf dem Sessel in der Zimmermitte und kramte in der Reisetasche. Mit einem seitenstarken Fachschmöker über Antiquitäten ging sie zum Bett, schlug die Tagesdecke zurück und knipste die Nachttischlampe ein. Sie wollte es jedenfalls. Aber die Birne zersprang mit einem lauten Knall. Erschrocken fuhr Gabriele zurück: »Aah!«
Sina spülte ihren Mund aus, als sie Gabis kurzen Aufschrei hörte. Neugierig steckte sie ihren Kopf zur Badezimmertür hinaus und sah ihre Freundin irritiert vor der kaputten Lampe verweilen. Sina tupfte sich den Mund mit dem Handtuch trocken und musste über die Hilflosigkeit der anderen schmunzeln.
Gabi schnappte ihren amüsierten Gesichtsausdruck auf: »Schau nicht so! Tu lieber was!« Verzweifelt knipste sie den Schalter mehrmals an und aus und warf Sina dabei vorwurfsvolle Blicke zu.
Sina konnte sich ihr Lächeln noch immer nicht verkneifen: »Is’ doch nur die Birne durchgeknallt. Kein Grund zur Panik.«
»Und wie – bitte schön – soll ich mein Buch lesen?«
Sina verzog belustigt den Mund, schritt dann langsam zur Zimmertür. Sie schaltete die Deckenleuchte an. »Schon besser, was? Und wenn dir das immer noch nicht reicht – dann schrauben wir einfach eine andere Birne in die Fassung deiner Lampe.«
Gabi setzte sich auf die Bettkante und entgegnete schnippisch: »Wo willst du die hernehmen, wenn ich fragen darf?«
Sina machte einen Bogen um die Freundin und ging zu ihrer Seite des Bettes. »Ach Gabilein, wenn du mich nicht hättest.« Sie drehte die Birne aus der
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