Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen
Programm vor uns. Mit leerem Magen kommst du nicht weit.«
19
Ihre kniehohen Stiefel ließen das Unterholz knackend bersten. Beide trugen Handschuhe. Die brauchten sie auch, denn wenn es hier jemals begehbare Pfade gegeben haben sollte, so waren diese längst zugewuchert. Gabriele und Sina mussten sich ihren Weg freikämpfen. Sie kamen nur langsam voran, mussten immer wieder Äste zur Seite drücken, die ihnen das Weitergehen erschwerten. Beide hatten sich lange Regencapes übergeworfen. Ein guter Schutz nicht nur vor dem Tau, der ihnen von den Büschen auf Kopf und Körper rieselte, sondern auch vor schmerzhaften Kratzern durch das Geäst.
Sina bildete die Vorhut. Hinter ihr hörte sie plötzlich ein ärgerliches Schimpfen. Gabriele hatte sich mit ihrem kleinen Rucksack in einem Zweig verfangen, zappelte hilflos in der Falle. »Besser von ’nem Ast schachmatt gesetzt zu werden als von einer verfluchten Mine«, frotzelte Sina und befreite ihre Freundin.
»Glaubst du etwa immer noch an die Mär von den Minen? Ich habe dir doch schon gesagt, dass das nur ein alter Förstertrick ist. Hier gibt’s keine Minen mehr, Sina, glaub mir endlich.«
Dieser Beruhigungsversuch hielt Sina nicht davon ab, einen großen Bogen um ein aus dem Boden ragendes Metallstück zu machen, das sie vor sich im Dickicht entdeckt hatte.
»Wir sollten uns trennen«, schlug Gabriele vor. »Dann kommen wir doppelt so schnell mit unserer Suche voran.«
Sina willigte ein: »Aber lass uns in Rufweite bleiben. Sonst wird mir die Sache zu gewagt.«
Gabriele blickte sie vorwurfsvoll an: »Noch immer ängstlich? Meine Güte! Das ist ein ganz normaler Wald. Vergiss die blöden Warntafeln. Das Schlimmste, was uns passieren kann, wäre, in den Bunker zu fallen, den wir suchen. Aber das hätte dann ja auch sein Gutes – weil wir ihn nämlich gefunden hätten, stimmt’s?«
In ungefähr zehn Metern Abstand voneinander durchstreiften die beiden das Waldstück und fahndeten nach einem unversehrten Seitenzugang zum unterirdischen Raketenbunker. Drei Tage hatte Gabriele für den ersten Teil ihrer systematischen Erkundung des Terrains eingeplant. Keineswegs eine großzügige Zeiteinteilung. Eher im Gegenteil: Sie hatte nicht damit gerechnet, dass der Wald so dicht bewachsen sein und ihnen das Vorankommen entsprechend schwerfallen würde.
Gabriele überstand die Strapazen, indem sie unentwegt an ihr Ziel dachte: das Auffinden der verschollenen Kunstschätze. Sie malte sich aus, wie sie endlich in die dunklen Stollen treten und die längst aufgegebenen Gemälde ihrer geschätzten Meister in den Händen halten würde. Sie sah sich in der Rolle der großen Entdeckerin. Fotos vom Troja-Entdecker Schliemann geisterten ihr durch den Kopf. Über diesen Anflug von Größenwahn musste sie aber selbst schmunzeln.
Sina hatte ganz andere Gedanken im Sinn. Und die kreisten um Klaus. Die Ankündigung, dass er nach Peenemünde kommen wollte, hatte sie nicht gerade begeistert. Spätestens heute Abend würde sie ihm gegenüber stehen. Und dann? Was würde er von ihr erwarten? Warum war er überhaupt hierher gekommen? Ging es wirklich um den kleinen Kläffer Tom? Oder war ihr gemeinsamer Hund doch bloß wieder ein vorgeschobener Grund? Ein Vorwand, um dieses ungelegene Treffen zu rechtfertigen? Sina kam ins Schwitzen. Einerseits aufgrund ihrer Gedanken, die sich im Kreis drehten, aber andererseits auch wegen der anstrengenden Sucherei. Die Sonne stand inzwischen weit oben am Himmel und hatte für die Jahreszeit eine ungewöhnliche Kraft entwickelt. Vor sich sah Sina die Baumreihen allmählich dünner werden. »Da hinten ist eine Lichtung, Gabi. Sollen wir umdrehen und in der anderen Richtung weitermachen?«
»Nein«, rief Gabriele herüber. »Wir machen eine Pause. Geh weiter bis zur Lichtung. Da werden wir uns ein gemütliches Fleckchen suchen. Muss dringend ein wenig verschnaufen.«
20
Sina war ziemlich erschöpft, als sie sich die kleine Anhöhe am Rande der Lichtung hinaufschleppte. Gabriele folgte in mehreren Metern Abstand und machte einen mindestens genauso erschlagenen Eindruck. »Renn doch nicht so.«
Sina blickte sich nach ihrer Freundin um. Sie musste zugeben, dass sie eine gewisse Genugtuung empfand: Zu sehen, wie Gabriele, die große Antreiberin, den anderen normalerweise nie eine Chance zum Ausspannen gab, völlig erschöpft einen Hügel hinaufkraxelte, war für Sina aufbauend. Endlich hatte sie mal die Nase vorn und war ihrer Freundin überlegen. Das
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