Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen
ihren Gegenüber einschätzen sollte. War das wirklich alles, was er wusste? Oder hielt er mit etwas hinterm Berg? Sie musterte seine Augen. Wässrig blau und ausdruckslos. Nicht zu durchschauen. Sina versuchte es mit einer neuen Taktik: »Sagen Sie, die Wissenschaftler, die früher hier gearbeitet haben –«
»2.000 waren es. Sie hatten eine kleine Stadt für sich. Mit komfortablen Wohnhäusern, Werkbahn, sogar Tanzsälen, Kino, Einkaufszentrum …« Der Mann plapperte wie auf Kommando drauf los.
Sina hatte offenbar eine besonders ergiebige Ader angestochen. Sie wollte sie nicht versiegen lassen und heuchelte Interesse: »Ist ja toll! Donnerwetter! Sogar ein Kino, sagen Sie?« Der Mann nickte eifrig. Doch Sina ließ ihn abermals nicht zu Wort kommen, sondern fragte forsch nach: »Von diesen 2.000 sind sicher noch ein paar übrig oder?«
Der Direktor verzog fragend die Stirn.
»Ich mein: Von denen leben sicher noch einige, oder?«, präzisierte Sina und erntete dafür einen staunend-fragenden Blick von Gabriele.
Der Museumsleiter musste abermals nachdenken. Er kniff die Augen zusammen, seine Antwort verriet Unsicherheit: »Einige wenige. Diejenigen, die damals ganz jung waren. Die meisten wohnen heute in den USA. Sie sind ja nach dem Krieg fast geschlossen rübergegangen. Jedenfalls die, die nicht der Iwan geschnappt hat«, sagte er eine Spur zu zynisch, wie es Sina empfand. Dem Leiter schien dann etwas Präziseres einzufallen, denn er strahlte Sina plötzlich an: »Warten Sie mal – von einem habe ich doch neulich erst gehört. Ja, richtig, jetzt hab ich’s: Dr. Koenig. Dr. Arthur Koenig. Nein, halt, Walter. Dr. Walter Koenig. Der lebt inzwischen sogar wieder in Deutschland.« Sina spürte ihr Herz hüpfen. Doch sie sagte nichts, hörte dem Mann gespannt weiter zu. »In Hamburg. Ja, wenn mich nicht alles täuscht, wohnt er in Hamburg. Das habe ich irgendwo gelesen.«
Sina warf Gabriele einen aufmunternden Blick zu. »Wir sind dicht dran«, dachte sie sich.
»Jedenfalls«, fuhr ihr Gegenüber fort, »hat Koenig in Hamburg eine Firma übernommen. Ein chemisches Unternehmen. Bax Chemie oder so ähnlich.« Das jungenhafte Lächeln verdrängte wieder seine anderen Gesichtszüge: »Klar, dass es eine Chemiefirma sein musste. Koenig war damals, während seiner Peenemünder Zeit, zwar noch ein Jüngling, vielleicht 20, höchstens 25. Aber in Chemie immer eine, ha, eine Rakete! Er hat maßgeblich an der Entwicklung des Antriebs mitgewirkt. Er war ein Querdenker und hatte ungewöhnliche Ideen: In der Brennkammer des Triebwerks ließ Koenig Spiritus mit Flüssigsauerstoff als Oxydator verfeuern und das ganze Gemisch mit Stickstoff in die Düsen pressen. Er war derart von der Raketenforschung besessen, dass er sogar bei der Steuerungstechnik mitgemischt hat und allen reinreden wollte. Mal kam er den Ingenieuren sogar mit einem Vorschlag für eine besonders windschlüpfrige Legierung für die Außenhülle in die Quere und –«
»Danke, danke. So genau wollte ich es gar nicht wissen«, fuhr ihm Sina dazwischen.
Eine ältere Frau, die sich eben zu den Dreien gesellt hatte, nutzte die Unterbrechung und erkundigte sich bei dem Leiter nach der nächsten Filmvorführung: »Mein Herr, Verzeihung! Aber dieser Videobeitrag sollte um neun Uhr beginnen, oder?«
»Korrekt«, antwortete der Museumschef, blickte auf seine Uhr und errötete. »Oh, das war vor fünf Minuten.« Mit Blick auf Sina und Gabriele wandte er sich zum Gehen. »Tut mir leid, dass ich Ihre Wette nicht auflösen konnte. Aber ich muss schleunigst in den Vorführraum.«
Die Frauen sahen ihm mit gezwungenem Lächeln nach. Kaum war er um die Ecke gebogen, packte Gabriele ihre Freundin an den Schultern: »Habe ich richtig gehört? Dieser Koenig hat bei der Steuerungstechnik mitgemischt? Dann ist er unser Mann!«
»Sachte, sachte. Er ist von Haus aus Chemiker. Wenn überhaupt, hat er nur periphere Kenntnisse über die Navigationssysteme.«
»Es ist nicht der geeignete Zeitpunkt, gestelzt daherzureden! Machst du ja sonst auch nicht«, meinte Gabriele ärgerlich. »Wenn er nur einen Hauch von Ahnung hat, was da über unseren Köpfen herumschwebt, müssen wir ihn haben! Wir müssen mit diesem Koenig sprechen!«
46
»Wer zuerst?«
»Ich zuerst«, drängte Sina und drückte sich an Gabriele vorbei in die Telefonzelle gegenüber dem Museum. »Ich muss versuchen, Klaus auf seinen Anrufbeant…«
»Quatsch! Klaus ist derzeit nebensächlich!«
»Aber er könnte
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