Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen
darfst du wieder spielen.« Der Mann schob das Kind sanft ein Stück beiseite. In seiner linken Hand hielt er einen Schraubenzieher. Er klappte einen Teil der Verkleidung des Modelltisches auf und wollte eben das Werkzeug ansetzen.
Sina stieß Gabi mit dem Ellenbogen an und deutete schweigend mit dem Kopf in seine Richtung. Beide traten näher. »Grüß Go…, äh, guten Tag, meine ich«, stammelte Sina. Der Mann blickte kurz auf und lächelte. »Entschuldigung«, knüpfte Sina an, »wir suchen den Leiter des Museums. Können Sie uns vielleicht sagen, wo wir ihn finden können?«
Der Mann unterbrach seine Arbeit. »Ja. Natürlich«, sagte er sachlich und ein wenig unterkühlt. »Sie finden ihn …« Er drückte eine Taste, woraufhin auf dem Modell ein weiteres Lämpchen aufflackerte, nämlich das neben der Leitwarte, also dem Gebäude, in dem sie sich in diesem Moment aufhielten. »Sie finden ihn hier«, setzte er mit einem jovialen Lächeln fort. »Ich bin es selbst.«
Sina erwiderte das Lächeln. »Na, das ist ja prima! Wir würden Sie gern etwas zur Geschichte von Peenemünde fragen.«
Der Museumsleiter setzte unvermittelt wieder seine bierernste Miene auf. Sina war leicht irritiert. Der Mann redete betont nüchtern: »Haben Sie den Film gesehen?«
»Film?« Sina verstand nicht.
»Ja, wir zeigen jede Stunde einen Videofilm über die Geschichte von Peenemünde. Darin werden die geläufigsten Fragen beantwortet.« Der durch und durch seriöse Gesichtsausdruck wich einem schelmischen, jungenhaften Lächeln. »Und ich brauche mir nicht dauernd den Mund fusselig zu reden.«
Sina wusste nun, wie der Hase läuft. Ehe sich der gewitzte Direktor auf- und davonmachen konnte, sagte sie besonders nachdrücklich: »Unsere Frage ist ziemlich speziell.«
Gabriele kam ihr zu Hilfe: »Genau genommen handelt es sich um einen Streit zwischen uns. Eine Wette, wenn Sie so wollen.«
Der Museumsleiter horchte auf. Seine Neugierde schien geweckt.
»Es geht um Ihre Raketen«, sagte Gabriele so unbedarft wie möglich. »Meine Freundin meint nämlich, die Nazis hätten Interkontinentalraketen gebaut. Schierer Unsinn, nicht?«
Ihr Gesprächspartner verzog etwas das Gesicht. Er war offenbar enttäuscht, von der – aus seiner Sicht – Belanglosigkeit dieser Frage. In seiner Stimme lag Gereiztheit. »Tja, wissen Sie, dazu kann ich Ihnen nicht sonderlich viel sagen. Auch wenn manche Leute diesen Eindruck gewinnen mögen – aber wir sind kein Waffenmuseum. Es geht uns ausschließlich um die Entwicklung der Weltraumfahrt. Und die hat – soll man sagen: leider? – hier in Peenemünde angefangen.«
Sina verschlug es fast die Sprache. »Das ist nicht Ihr Ernst!«, brach es schroff aus ihr heraus. Die Rolle der einfältigen Touristin hatte sie über Bord geworfen. »Die Peenemünder haben faktisch fliegende Bomben gebaut. Keine harmlosen Mondraketen!«
Der Museumsleiter tratt einen Schritt zurück. Seine Brauen näherten sich. »Aber später, als die Russen und Amerikaner tatsächlich Mondraketen bauten, ging das nur mit dem Know-how, das sie sich in Peenemünde erworben haben.« Diesen Satz artikulierte er derart bestimmt, dass Sina keinen weiteren Widerspruch wagte.
Kleinlaut fragte sie: »Den Vorwurf, dass Peenemünde nichts weiter als eine gigantische Waffenschmiede war, hören Sie wohl öfter?«
»Junge Frau, das ist wahrhaft meine Achillesferse«, sagte der Mann, inzwischen wieder ein wenig aufgeschlossener. Sina lächelte sanftmütig. Der Museumschef wollte sich offenbar für ihr Verständnis revanchieren: Er kam unerwartet auf die Wette zu sprechen: »Wenn es Sie denn so brennend interessiert. Da war wirklich mal was mit einer Interkontinentalrakete.« Er musste angestrengt nachdenken. Oder er tat nur so, schoss es Sina durch den Kopf. Wusste er am Ende jedes Details über diese Superrakete und wollte nur nicht zugeben, dass er selbst ein Waffennarr war?
»1943 war es, wenn ich mich nicht täusche«, nahm er den Faden wieder auf. »Es gab Pläne, eine amerikanische Großstadt zu bombardieren. Das war, wenn überhaupt, nur mit einer Rakete möglich. Flugzeuge mit solchen Reichweiten gab es noch nicht. Und auch eine Rakete hätte allenfalls eine Küstenstadt wie Boston oder vielleicht auch New York treffen können.«
Sina und Gabriele lief es eiskalt den Rücken herunter.
»Aber über braune Träumereien ist das Ganze nie hinausgekommen«, meinte der Mann mit einer Spur Abfälligkeit.
Sina war sich nicht sicher, wie sie
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